4. Oktober 2012

„Gewalt gegen Frauen“

Rede der Stadtverordneten Gabriela Schuchalter-Eicke der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu TOP I/4 „Tätigkeitsbericht 2010-2012 der kommunalen Frauenbeauftragten“

Es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher,
sehr geehrte Damen und Herren,
wir freuen uns sehr, dass seit langer, langer Zeit wieder einmal ein Bericht der Frauenbeauftragten auf der Tagesordnung einer Stadtverordnetenversammlung steht. Zurückzuführen ist dieses Ereignis bekanntlich auf einen Antrag der GRÜNEN im Ausschuss für Frauenangelegenheiten. Im September letzten Jahres hat die Fraktion Bündnis 90/Die GRÜNEN festgestellt, dass die Stadtverordnetenversammlung im Dezember 2006 zum letzten Mal den Tätigkeitsbericht der kommunalen Frauenbeauftragten für den Berichtszeitraum 2003 – 2005 als Vorlage zur Kenntnis genommen hat und beantragt zu prüfen, ob eine regelmäßige mündliche Berichterstattung der Frauenbeauftragten in der Stadtverordnetenversammlung wieder eingeführt werden kann.
Der Ältestenausschuss hat nun beschlossen, dass Frau Veit-Prang in der heutigen Oktober-Sitzung einen Bericht liefern kann, allerdings nur schwerpunktmäßig zu einem Thema. Das hat uns erst etwas geärgert, aber – wie bereits im September gesagt – wenn ab jetzt in jeder Sitzung zu einem Frauenthema berichtet wird, soll uns das auch recht sein.
In meinen weiteren Ausführungen verwende ich Angaben und Aussagen von „Terre des Femmes“:
Gewalt gegen Frauen symbolisiert auf schmerzhafte Art und Weise die immer noch deutlich existierende Machtdifferenz zwischen Männern und Frauen. Gewalt hat mehrere Dimensionen. Eine Vergewaltigung als Ausdruck von Macht ist eine der schlimmsten Formen von Gewalt, die ein Mann an einer Frau ausüben kann. Im Gegensatz zu häuslicher Gewalt, bei der in Ausnahmefällen auch Männer die Opfer sein können – worauf Männer auch gerne lautstark und übertrieben hinweisen, – wird sexuelle Gewalt fast ausschließlich von Männern an Frauen ausgeübt.
Häusliche Gewalt hat mehrere Ausprägungen. Sie wird ausgeübt in physischer, sexueller und psychischer Form. Sie reicht von Drohungen, Einschüchterungen und Demütigungen über Schläge, Tritte und Vergewaltigungen bis hin zu Mord. Auch soziale Isolierung und ökonomische Gewalt sind Merkmale der Misshandlung. Häusliche Gewalt bedeutet, Macht und Kontrolle über die Partnerin oder den Partner auszuüben.
Wenn Frauen in Ihrer Partnerschaft, Ehe oder Familie z. B. misshandelt, geschlagen, verletzt (das ist Körperverletzung), bedroht, eingesperrt, gefangen gehalten, (das ist Freiheitsberaubung), vergewaltigt, zu sexuellen Handlungen gezwungen (das sind strafbare Handlungen gegen das sexuelle Selbstbestimmungsrecht), belästigt und verfolgt (das ist Stalking) oder Ihre Kinder misshandelt oder sexuell missbraucht werden, haben sie das Recht, sich dagegen zu wehren. Ihr Mann/ihr Partner begeht mit den körperlichen und sexuellen Gewalttaten sowie dem Stalking strafbare Handlungen, die strafrechtlicher Verfolgung unterliegen.
Demnach leben Frauen im eigenen Heim am gefährlichsten. Weltweit ist das so, auch in Deutschland. Häusliche Gewalt ist die häufigste Ursache von Verletzungen bei Frauen: häufiger als Verkehrsunfälle und Krebs zusammen genommen.
Für Frauen ist das Risiko, durch einen Beziehungspartner Gewalt zu erfahren, weitaus höher als von einem Fremden tätlich angegriffen zu werden. Tatsächlich ist die weit verbreitete Vorstellung eines unbekannten Täters, der einer Frau nachts in einer dunklen Ecke auflauert, trügerisch. Dies ist lediglich bei 14,5 Prozent der bekannten Vergewaltigungen der Fall. In den anderen Fällen stammt der Täter aus dem Bekanntenkreis oder ist der aktuelle oder ehemalige Partner.
Bildung, Einkommen, Alter und Religionszugehörigkeit sind dabei völlig bedeutungslos. Laut einer Studie der Bundesregierung aus dem Jahr 2002 ist oder war schon jede vierte Frau in Deutschland Opfer von Häuslicher Gewalt. Ihr eigenes Zuhause ist der gefährlichste Ort für eine Frau.
Über 9.000 schutzsuchende Frauen wurden im letzten Jahr bundesweit von den Frauenhäusern verwiesen! In den oft überfüllten Einrichtungen war kein Platz für sie. Dies belegt die Bundesregierung im am 15.08.2012 vorgestellten „Bericht zur Situation der Frauenhäuser, Fachberatungsstellen und anderer Unterstützungsangebote für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder“. Jährlich suchen etwa 15.000 Frauen und 17.000 Kinder Schutz vor Gewalt durch Männer in einem der rund 350 Frauenhäuser in Deutschland.
Die Kinder sind dabei mehr als nur Zeugen der Gewalt: Studien zeigen eine Korrelation zwischen Häuslicher Gewalt gegen Frauen und einer Misshandlung der Kinder durch die Täter. Besonders betroffen von dem unzulänglichen Schutz sind Frauen mit Behinderungen, psychisch kranke oder suchtkranke Frauen.
In unserer Gesellschaft herrscht leider kein Konsens darüber, dass das Schlagen, Vergewaltigen, Kaufen und Erniedrigen von Frauen ein extrem menschenverachtendes Verhalten ist.
Nein, im Gegenteil: Bei einigen deutschen Großkonzernen gehört zum Bonussystem auch das Bereitstellen von Frauen, die so zur verfügbaren Ware degradiert werden. Ich erinnere nur an die Brasilien-Reisen bei VW und die Sauna-Besuche der Ergo-Versicherungsgruppe.
Die Öffentlichkeit, die Medien und die Gesellschaft senden an gewalttätige Männer, an potenzielle und tatsächliche Täter ein falsches Signal. Ihnen wird nicht gezeigt, dass eine Vergewaltigung eine Straftat ist. Ihr Verhalten wird verharmlost. Eine Verurteilung bei Gericht ist nicht sicher. Dabei wirken patriarchale Strukturen und Traditionen über alle Kulturen und Religionen hinweg einheitlich zum Schaden der Frauen. Darin enthalten sind Männer- und Frauenbilder, die Männlichkeit als Macht, Stärke, Dominanz definieren und Weiblichkeit mit Duldsamkeit, Passivität, Unterlegenheit verbinden.
Den Frauen wird suggeriert, letztendlich sogar selbst schuld zu sein. Durch ihr Verhalten, ihre Kleidung hätten sie die Männer provoziert und „es“ im Grunde selbst so gewollt.
Nachdem dann auch noch im Januar 2011 ein Polizeibeamter in Toronto, Kanada in einem Vortrag über öffentliche Sicherheit an der Osgoode Hall Law School erklärte, dass Frauen selbst Schuld sind, wenn sie sexuell belästigt werden, da sie sich entsprechend anziehen und verhalten, löste dies weltweite Empörung aus mündend in den sogenannten Slutwalks (den Schlampen-Märschen, die in Nordamerika begannen, 2011 mit 3500 teilnehmenden Frauen in Berlin auch Deutschland erfassten und gerade wieder am 15.9.2012 ebenfalls in Berlin stattfanden). Ziel der Slutwalks ist es, diese frauenfeindliche und diskriminierende Argumentation zurückzuweisen.
Auch in Deutschland sind Einstellungen wie die des kanadischen Polizisten keine Seltenheit, sondern kennzeichnend für einen symptomatischen Umgang und eine Verharmlosung sexualisierter Gewalt. Zudem wird Frauen vermittelt, es gäbe tatsächlich ein bestimmtes Verhalten und eine Kleidung, die vor sexuellen Übergriffen schützt.
Dabei ist der Mythos, dass in der Mehrzahl aufreizend angezogene Frauen vergewaltigt werden, falsch und irreführend. Männer sind keine triebgesteuerten „Opfer“ ihrer Sexualität und Frauen keine Verführerinnen, die ihre Reize zu kontrollieren haben. Beispielsweise gilt ein kurzer Rock, ein tiefer Ausschnitt in bestimmten Kreisen immer noch als aufreizend und „willig“. Den Frauen wird damit ein bestimmter Lebenswandel unterstellt und je nach Land, Kultur und Religion ein als passend definierter Kleidungsstil vorgegeben bis zur vollständigen Verhüllung ihrer Person in der Ganzkörper-Burka. Egal, ob es sich um die Verinnerlichung von Verboten während des Sozialisierungsprozesses im Christentum oder um äußerliche Verhaltensregeln zur Vermeidung von „fitna“ (arab.: „Anfechtung“, aber auch „schöne Frau“) im Rahmen der Geschlechtertrennung im Islam handelt, beide gesellschaftliche Formen zur Beherrschung der weiblichen Sexualität sind nicht mit den Grundsätzen von einem Frauenleben in Freiheit und Selbstbestimmung in Einklang zu bringen.
Ein „Nein“ bedeutet immer und überall auf der Welt „Nein“ und ist nicht die Aufforderung übergriffig zu werden.
Die Männer hingegen haben eine „Sex-Affäre“, sich selbst und ihre Lust „nicht recht im Griff“, „stolpern über ihre Hormone“ oder sie sind „kein Kind von Traurigkeit“. So einige Zitate aus den Medien zu den Fällen Kachelmann und Strauss-Kahn im vorigen Jahr.
Auf der individuellen Ebene spielen Konfliktlösungsmuster und individuelle Erfahrungen eine ursächliche Rolle. Denn Gewalt wird gelernt. Wer in der eigenen Kindheit nur gewalttätiges Verhalten und Dominanz des Stärkeren erlebt hat, wird auch als Erwachsener sehr wahrscheinlich dieses Verhalten zeigen. Gewalttätiges Verhalten ist oft auch Ausdruck von Fehlentwicklungen und Traumatisierung in der Lebensgeschichte der Täter.
Dennoch: Die Verantwortung für die Gewalt kann nicht auf gesellschaftliche Gegebenheiten oder die individuelle Biographie abgewälzt werden. Sie liegt immer auch beim Aggressor, denn zuzuschlagen oder nicht ist – bei einem psychisch gesunden Menschen – immer eine freie Entscheidung. Jedes Mal.
Polizeieinsätze und Gerichtsverfahren, aber auch Arbeitsausfälle, ärztliche Behandlungen und psychologische Betreuungen, die durch Männergewalt gegen Frauen und Mädchen notwendig werden, sowie die verminderte Lebensqualität von Betroffenen kosten Staat und Wirtschaft jährlich mehrere Milliarden Euro. Angelsächsische Studien konnten zeigen, dass eine Finanzierung von Gegenmaßnahmen der öffentlichen Hand letztlich sogar Gewinn einbringt. In Deutschland – gibt es hierfür fast keine Studien.
Dazu drei elementar wichtige Forderungen:
1.    Kontraproduktive Gesetze und Verordnungen müssen reformiert werden
Die Trennung von zivilrechtlichen und familienrechtlichen Aspekten im Trennungsfall führt Schutzmaßnahmen für Frauen bisweilen ad absurdum und gewährt den Tätern im Gegenteil eine verstärkte Kontrolle über ihre Ex-Partnerinnen. Das Gewaltschutzgesetz muss auf den Schutz von Kindern ausgeweitet werden.
2.    Die Aus- und Fortbildung von mit Häuslicher Gewalt befassten Berufsgruppen muss verpflichtend sein
PolizistInnen brauchen mehr Training für die Einsätze, die mit häuslicher Gewalt zu tun haben. ÄrztInnen, Pflegepersonal usw. müssen intensiver darin geschult werden, wie Symptome häuslicher Gewalt zu erkennen sind. Und: Die Fortbildung von RichterInnen muss verpflichtend werden – Bisher ist während ihrer gesamten Laufbahn keine einzige Weiterbildung für sie Pflicht. So erklärt sich auch der Vorfall in NRW: Das aktuelle skandalöse Urteil des Landgerichtes Essen in einem Verfahren wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung sorgt nämlich bundesweit für Empörung: Der Beschuldigte war freigesprochen worden, weil sich das mutmaßliche Opfer – ein damals 15jähriges Mädchen – nicht ausreichend gewehrt habe.
3. Migrantinnen, die Opfer von Häuslicher Gewalt sind, müssen einfacher ein von der Ehedauer unabhängiges Aufenthaltsrecht bekommen.
Inzwischen können Migrantinnen erst einen eigenen Aufenthaltsstatus erhalten, nachdem eine eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet mindestens drei Jahre lang bestanden hat. In Fällen von Häuslicher Gewalt ist diese Frist viel zu lang. Zwar besteht zwar schon nach Ablauf von sechs Monaten die Möglichkeit einen Antrag auf ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu stellen – eine Härtefallregelung, doch die Hürden für die Anerkennung dieses Härtefalls sind sehr hoch
Mittel für Projekte zum Gewaltschutz und zur Gewaltprävention aus der EU sind die Daphne-Töpfe.
Aktuell läuft von 2007-2013 Daphne III – “Prevent and combat violence against children, young people and women and to protect victims and groups at risk”. Das Programm Daphne ist ein präventiv ausgerichtetes Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaft zur Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen.
Wie die erfolgreichen Vorgängerprogramme Daphne I und II unterstützt es Organisationen, die sich für den Kampf gegen Gewalt an Kindern, Jugendlichen und Frauen engagieren.
Auf Bundesebene gibt es u.a. die Förderung von Psychosozialen Trainingsprogrammen mit Trennungsstalkern durch das Bundesministerium der Justiz.
Zu weiteren Fragen informiert ferner die vom Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend und dem Bundesministerium der Justiz veröffentlichte Broschüre „Mehr Schutz bei häuslicher Gewalt“. Die Broschüre steht zum Download auch in englischer und türkischer Sprache bereit.