26. November 2015

Rede von Dorothea Angor zu TOP Entwurf der Haushaltssatzung der Landeshauptstadt Wiesbaden Generaldebatte in der Stadtverordnetenversammlung am 26. November 2015

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher,
meine Damen und Herren,

wir alle wissen es, wenn wir bereit sind genau hinzuschauen: Unsere kulturelle Vielfalt ist in ernster Gefahr! Und die Last Minute Rücknahme von Kürzungen bei einigen Initiativen ist doch kein ernsthaftes Signal, dass Sie erkannt haben, wie wertvoll und wichtig die kulturelle Vielfalt für das Leben in unserer Stadt ist.

Ich sage Ihnen jetzt mit aller Deutlichkeit: Darauf können Sie sich bei bestem Willen nicht ausruhen. Mit diesem absolut unzureichenden Haushaltsentwurf haben Sie die Kulturentwicklung für 2 Jahre auf Eis gelegt!
Die Kulturinitiativen brauchen Geld. Nicht aus Gier oder Bequemlichkeit, sondern weil sie sonst irgendwann schließen müssen. Wir alle wissen doch, dass ehrenamtliche Arbeit und Selbstausbeutung die Bedingung für kulturelles Engagement sind. Das ist nicht tragbar und verheizt das kreative Potential unserer Stadt.

Zudem: Wenn das so weiter geht, ist bald kein Spielraum mehr für diese wunderbare Selbstausbeutung da. Sie wissen es doch ganz genau: nicht wenige Initiativen dümpeln seit Jahren am Rande der Schließung. Sie kriegen gerade so viel Geld, dass sie nicht untergehen müssen, aber die meiste Kraft müssen darin stecken, das Wasser – was immer wieder ins Boot läuft – aufzufangen.

Steigende Lebenshaltungskosten, Indizes- gelten alle nicht für die freien Initiativen. Die sollen mal schön mit dem zurechtkommen, was sie seit Jahren bekommen. Es ist ja nicht so, dass Sie davon nichts wissen. Anträge und Notbekundungen kommen mit zuverlässiger Regelmäßigkeit jeden Monat per Post. Ich möchte noch einmal daran erinnern, was Ihre erste Antwort darauf war: Alle kriegen 4,27% weniger. Und das unter dem Vorwand der „Gerechtigkeit“. Das ist nicht gerecht, sondern in gleichem Maße für alle ungerecht. Im besten Falle ein Zeichen von Hilflosigkeit. Man könnte auch sagen: von Ignoranz.

Und dass Sie sich jetzt als Retter der Initiativen präsentieren, nachdem Sie ein halbes Jahr Angst und Schrecken verbreitet haben, ist im höchsten Maße unanständig.

Kammerspiele, Velvets Theater, Kulturpalast, Kreativfabrik. Das sind nur wenige Beispiele für hohes Engagement, das trotz aller Mühen irgendwann darin endet, dass von Ihnen keine würdigenden Gelder kommen. Und hier geht es um vergleichsweise lächerliche Beträge von 20.000 – 40.000 € p.a.!

Und jetzt, liebe KOA, haben Sie – obwohl es möglich gewesen wäre – nicht einer einzigen Initiative Zugeständnisse gemacht. Nicht einiger einzigen. Lieber lassen Sie Folklore sterben und behalten ein Stadtfest, bei dem die Alten dieser Stadt langsam schunkelnd einschlafen und der Höhepunkt eine Autoshow darstellt, die unserer Landeshauptstadt den Duft einer Provinz im Hinterland verleiht.

Lieber ein konservatives Fest, als ein buntes, großstädtisches Jugendkulturangebot, das weit über das Rhein-Main-Gebiet bekannt und beliebt ist und auch Fragen der Zeit thematisiert und nicht im Mief – gefühlt tausender Würstchenbuden – selbstgerecht auf dem Minimallevel verharrt. Das ist schon ein Ding.

Und auch den Kunstsommer lassen Sie lieber einfach ganz bleiben, bevor das vielleicht noch eine fiskalische Herausforderung werden könnte. Man hätte ihn auch einfach anders konzipieren können, aber da müsste man ja was riskieren!

Für 2016 sind unsere Partnerstädte San Sebastian und Breslau Kulturhauptstädte. Meinen Sie nicht, dass das in irgendeiner Form wichtig für unsere Außendarstellung gewesen wäre? Dass wir als Partnerstadt davon hätten profitieren können?

Nun, da Sie nicht einen einzigen Cent im Haushalt eingeplant haben, haben Sie auch die Chance auf Drittmittel vertan. Sie planen also nicht nur Nichts ein, sondern verzichten auch noch auf Geld aus Bundeskulturstiftung und EU-Töpfen. Haben Sie denn darüber schon mal nachgedacht? 2016, das „Jahr der Städtepartnerschaft“. Fängt ja gut an.

Ich will ihnen mal zu Gute halten, dass Sie das nicht bedacht haben. Aber es ist doch so einfach, sich zu informieren und sich anzuschauen, wie eine erfolgreiche Kulturpolitik aussehen kann. Trotz Schutzschirmen und leeren Kassen. Der Blick nach Norden, nach Kassel könnte sich vor allem für Sie lohnen. Um eine Ahnung davon zu bekommen, was nötig und was möglich ist, in einer Stadt.

Und jetzt, wo doch noch etwas Geld aufgetaucht ist, lassen Sie sich dafür feiern, dass Sie die unsinnige Rasenmäherkürzung in kleinen Teilen nicht vornehmen. Immerhin: zumindest in Ansätzen verstehen Sie ja augenscheinlich doch, wie fatal Kürzungen im Kulturbereich sind. Damit wurde jedoch nur der sichere Tod unserer vielfältigen Kulturszene verhindert. Eine Rettung ist das noch lange nicht.

Gerade die Jugendkultur braucht das Geld, sonst bleibt Wiesbaden eine alte, eingestaubte Stadt, aus der junge Menschen möglichst schnell verschwinden wollen. Die Jugendkultur ist ein möglicher und unserer Meinung nach unverzichtbarer Schwerpunkt, den man setzen kann und muss. Sehen Sie das nicht auch so, liebe SPD? Dann machen Sie auch etwas dafür.

Trauen Sie sich und zeigen Sie endlich einmal Profil gegenüber einer CDU, die wie wir wissen, Leiber auf saubere Straßen setzt und die Menschen kehren lässt, satt ihnen etwas beizubringen.

Oder wie soll man das verstehen, dass ihnen UNSERE VHS nicht wenigstens die Kürzungsprozente wert ist? Wertschätzung für eine solch erfolgreiche Arbeit, die dort geleistet wird, sieht anders aus, meine Damen und Herren.
Und es ist einfach nicht fassbar, dass Sie so tun als ob das alles kein Problem darstellt. das hat nichts mit Verantwortung für Wiesbaden zu tun. Gar nichts.

So wird auch klar, wieso der Prozess des Angehen eines KEP nicht vorangeht: Sie wollen gar nicht festgestellt haben, was dringend benötigt wird und über die Zeitrechnung eines Doppelhaushaltes hinausgeht. Stattdessen soll das jetzt wohl so weitergehen, alle zwei Jahre wieder: Erst Panikmache, dann vorsichtiges zurückrudern um sich am Ende eines schmerzhaften Ringens zurückzulehnen, um sich als erfolgreiche Kapitäne eines Unwetters feiern zu lassen. Nein, meine Damen und Herren, was Wiesbaden braucht ist ein PLAN, auch ein finanzieller Bedarfsplan, der über 2 Jahre hinausgeht und nicht für jeden Haushaltsentwurf eine neue Krise auslöst. Sie haben keinen solchen Plan. Und es ist Ihnen nicht einmal peinlich.

Es ist auch nicht klar, welche Schwerpunkte Sie eigentlich setzen wollen, die unserer Stadt eine kulturelle Identität geben. Schwerpunkte, die in Beteiligung der Bürger entwickelt werden könnten und das Bild unserer Stadt wiedergeben. Wo setzen Sie denn ihre Schwerpunkte? Gibt es überhaupt welche?

Reden wir noch einmal von einem hohen Gut, das erstmal nichts kostet aber doch so kostbar ist: Wertschätzung.

Wann fangen Sie an, zu verstehen, dass Kulturförderung Wertschätzung bedeutet? In der Kultur ist der Moment verankert, in dem Sie unseren Bürgern etwas zurückgeben können. In der Kultur fängt die Heimatverbundenheit an, die Sie doch selbst so gerne fördern und von den Bürgern fordern. Man kann keine Heimatliebe verordnen, man muss Heimatliebe aktiv gestalten.

Kultur kann das: Kultur schafft Identität und lockt interessante, kreative Menschen sowie wirtschaftliches Potential an. Darauf wollen wir doch wirklich nicht verzichten. Und darauf können wir auch nicht verzichten. Dass Sie das alles ignorieren und umschiffen, verdeutlicht nur, was Sie in der großen Koalition seit Beginn der Wahlperiode machen: Sie schwimmen. Sie haben keine Idee, was man mit der Kulturszene anfangen soll. Sie kümmern sich lieber um Prestigeprojekte und behalten die etwas miefigen, etablierten Veranstaltungen bei, anstatt sich darum zu kümmern, was in die Zukunft weist und Horizonte eröffnet.

Sie – so scheint es – wollen lieber ihren Horizont klein halten.

Da fühlen Sie sich sicher, wenn Sie Land sehen und nichts riskieren müssen. Schade um unser Wiesbaden! Was Sie machen, ist keine Kulturpolitik, sondern das Paddeln auf seichtem Gewässer. Und dabei tun Sie so, als ob Ihnen der Wind in Orkanstärke entgegenbläst.

Seien Sie mir nicht böse. aber das sieht nun wirklich sehr provinziell aus, ihr wildes Gepaddel.

Stirbt die Hoffnung zuletzt? Vielleicht schaffen Sie es irgendwann einmal, Ihre Ideenlosigkeit selbstreflexiv zu erkennen, um dann beherzt herauszurudern aus dem Provinzdümpel ihrer ziellosen Vorgehensweise:
Dazu müssten Sie es aber zulassen, auch einmal auf die Anderen zu hören. Sie müssten sich dazu mit den Kulturschaffenden – genauer gesagt mit vielen Menschen dieser Stadt – auseinandersetzen, auf sie zugehen und sich einlassen. Und auf sie hören.

Versuchen Sie doch mal ihren Horizont zu öffnen, ich verspreche Ihnen, Sie werden staunen, was so alles möglich ist, wenn man es denn nur beherzt zulässt.

Vielen Dank.