15. Dezember 2016

Rede des Daniel Sidiani zu „Anreize für umwelt- und stadtverträgliche Mobilität für Neubürgerinnen und Neubürger“ in der Stadtverordnetenversammlung am 15. Dezember 2016

Es gilt das gesprochene Wort

I

Anrede,

60 Menschen sind statistisch allein heute wieder nach Wiesbaden gezogen.

Diese 60 Menschen haben eins gemeinsam: Sie orientieren sich erst einmal. Sie orientieren sich, was man alles in unserer Stadt machen kann – dazu komme ich später noch – sie müssen sich aber vor allem in punkto Mobilität orientieren, also wie sie morgens zur Arbeit, zur Ausbildungsstelle, zur Schule kommen, wie sie den Arzt und den Supermarkt erreichen. Und bei dieser Suche haben sie den meisten von uns, die wir alle schon länger in Wiesbaden leben, eines voraus: Eine gewisse Offenheit bei der Wahl des Verkehrsmittels. Denn der Mensch ist grundsätzlich ein Gewohnheitstier, das gilt auch für seine Verkehrsmittelwahl. Es gibt allerdings den einen Zeitpunkt – das haben Wissenschaftler im Auftrag der EU erforscht – der wie kein anderer ausschlaggebend ist, die eigene Verkehrsmittelwahl neu auszurichten: den Umzug in eine andere Stadt.

Genau da setzen wir mit unserem Antrag an: Wir wollen den bestmöglichen Zeitpunkt nutzen, um den Neu-Wiesbadenern neue Wege aufzuzeigen. Und zwar vor allem Wege, die für die Lebensqualität, die Sicherheit und die Luft in unserer Stadt günstig sind. Jetzt gibt es in dieser Willkommenszeitung, die Neu-Wiesbadener derzeit zugeschickt bekommen, natürlich ein paar Informationen in Textform – aber etwas lesen ist das eine, etwas ausprobieren ist das andere, und am besten macht man Appetit zum Ausprobieren. Das macht man natürlich, indem man ein kleines Häppchen kostenlos anbietet, das ist hier nicht anders als bei der Kostprobe an der Wurst- oder Käsetheke.

Welches Produkt haben wir eigentlich anzubieten? Ich glaube, dass wir einen attraktiven ÖPNV haben, ist unstrittig; ich bin überzeugt davon, dass er den Neu-Wiesbadenern beim Ausprobieren schmecken wird, um im Bild zu bleiben. Und dort wo noch nicht, sind wir ja ständig dabei, neue Rezepte zu entwickeln. Beim Produkt Carsharing können wir sicher noch an der Menge arbeiten, aber die Qualität stimmt.

Das Produkt Radverkehr – ich formuliere es mal vorsichtig – wird unsere Neubürger eher nicht auf Anhieb begeistern. Und jetzt gibt’s ja immer auch diejenigen, die sagen, solange die Infrastruktur noch so mangelhaft ist, helfen auch die weichen Maßnahmen nicht. In diesem Fall ist es aber eher andersherum: Wenn wir in Wiesbaden ein engmaschiges Netz sicherer Radwege hätten, zusammen mit einer flächendeckenden Beschilderung, dann würden sich die Menschen auch von allein zurechtfinden. Da wir soweit noch nicht sind, heißt das im Umkehrschluss: Gerade WEIL viele Straßen noch nicht ausreichend mit Radwegen und Radstreifen ausgerüstet sind, ist umso wichtiger, den Zugezogenen Orientierung zu geben, wo sie sich sicher bewegen können.

Wie soll das Ganze umgesetzt und finanziert werden? Natürlich nur realisierbar, wenn ESWE Verkehr, Book‘n‘Drive und gerne auch weitere hier prominent einbezogen werden, bessere Chance zur Neukundengewinnung gibt‘s eigentlich gar nicht, und Einnahmeausfälle sind marginal. Wenn das Produkt den Neubürger überzeugt, wird er es öfter nutzen und sich wahrscheinlich sogar eine Jahreskarte kaufen. Setzen darauf, dass gerade ESWE Verkehr als künftiger umfassender Mobilitätsdienstleister sich diese Chance nicht entgehen lassen wird.

Bleibt die Frage: Ticket oder Gutschein? Beides wird von verschiedenen Städten gemacht, beides ist auch für Wiesbaden denkbar. Wenn das Ticket schon drin liegt, ist das niedrigschwelliger. Wenn ich es erst anfordern oder abholen muss, ist das eine kleine Hürde mehr – aber dafür können wir als Stadt natürlich besser evaluieren, wie das Angebot angenommen wird. Darüber brauchen wir uns hier und heute aber nicht den Kopf zu zerbrechen, ich bin sicher die Verwaltung wird da zusammen mit den Dienstleistern eine praktikable Entscheidung treffen.

Damit sie das tun kann, bitte ich für die Grünen um Zustimmung zur Ziffer Römisch I zu unserem Antrag.

II

Jetzt könnte alles so schön sein und unser Antrag und meine Rede hier zu Ende, aber leider sind wir bei unserer Recherche auf einen Punkt gestoßen, den wir hier zumindest mal ansprechen sollten. Und zwar die Frage, was denn derzeit überhaupt drin ist im Paket, mit dem wir die jährlich 20.000 Neu-Wiesbadener in unserer Stadt willkommen heißen. Das Willkommenspaket wurde 2007 von CDU, FDP und Grünen beantragt und im Stadtparlament beschlossen, ist seither aber offensichtlich kontinuierlich einer Schlankheitskur unterzogen. Übrig geblieben ist – zumindest nach unserer Recherche – nicht viel mehr als diese Zeitung.

Es ist ja zuletzt viel über Identität gesprochen, haben sogar eigene Stabsstelle beim OB, das ist auch sehr hilfreich. Aber meine persönliche Beobachtung bei vielen Zugezogenen ist, dass sie am Anfang erstmal Schwierigkeiten haben, richtig „warm“ zu werden mit der Stadt.

Dabei hat unsere Stadt viel zu bieten! Aber man muss sich einerseits drauf einlassen, zweitens tun wir gut daran, die Neubürger an die Hand zu nehmen und ihnen zu zeigen, wo was los ist.

Müssen wir alles nicht sofort hinkriegen, uns geht’s im Antrag Römisch II erstmal nur um ne Bestandsaufnahme, damit wir auf dem Tisch haben, was aus dem Paket eigentlich geworden ist. Das muss jetzt nicht hier heute passieren, das reicht aus unserer Sicht völlig aus, wenn wir das im neuen Jahr schriftlich bekommen. Und dann sollten wir uns aber auch überlegen, wie wir das Paket wieder etwas aufpeppen können.

Inspiration Frankfurt „EI GUDE“

→ Rumgeben
→ Gutscheine ab S. 91, bitte drinlassen!

Wahrscheinlich für Wiesbaden ne Nummer zu groß, aber vielleicht können wir uns ja zumindest ein Scheibchen davon abschneiden.

Ja, es wird dann irgendwann einen Preis haben, aber auch einen Wert. Wenn unsere Neubürger sich von Anfang an mit Wiesbaden identifizieren, werden sie auch zum Wohl der Stadt beitragen, sie werden die Auslastung unserer Kulturveranstaltungen erhöhen, sie werden unserer Gastronomie guttun, sie werden sich eher in einem Verein engagieren, dann werden sie irgendwann selbst Botschafter für unsere Stadt!

Und dann steht am Ende vielleicht nicht mehr der Satz: „Ich bin nach Wiesbaden gezogen, weil ich es halt wegen der Arbeit her muss.“

Sondern: „Ich bin nach Wiesbaden gezogen; und ich bleibe gern hier, weil es mir hier gefällt.“

Das war jetzt ein Blick über den Tellerrand unseres Antrags hinaus; lassen Sie uns heute anfangen mit ein paar leckeren Appetithäppchen für eine umwelt- und stadtverträgliche Mobilität. Und um weitere Ideen, wie wir unseren Neubürgern Gutes tun können, kümmern wir uns dann wenn alle Informationen vorliegen im neuen Jahr.