26. November 2015

Rede von Christiane Hinninger zu TOP Entwurf der Haushaltssatzung der Landeshauptstadt Wiesbaden für die Jahre 2016/2017 Generaldebatte in der Stadtverordnetenversammlung am 26. November 2015

Es gilt das gesprochene Wort

Anrede,
seit Monaten erleben wir eine HH-Debatte, die als reine Kürzungs- und Spardebatte inszeniert wird.
Seit März wird ein Klima der Unsicherheit und Angst erzeugt, von einem für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserer Stadt verheerenden Kürzungsprozess.
Auf der Grundlage eines phantasielosen HH-Entwurfs mit Rasenmäher-Kürzungen, wurden vor allem die Menschen mit Leistungskürzungen bedroht, die in unserer reichen Stadt auf Hilfe, auf Beratung und Unterstützung angewiesen sind. Von einem gestaltenden Ansatz, der die Herausforderungen aufnimmt, ist das alles weit entfernt.
Die Koalition hat über Wochen und Monate nicht die Kraft gefunden, dieser Verunsicherung entgegen zu treten. Erst unmittelbar vor den Beratungen im Finanzausschuss wurden einige der angedrohten Grausamkeiten zurück genommen.
Die hier so überaus ‚plötzlich‘ aufgetauchten Gelder, sowohl aus dem KFA wie aus dem kommunalen Investitionsprogramm, waren seitens des Landes lange vorher signalisiert worden. Sie wollten diese Signale aber aus politischem Kalkül nicht wahrnehmen.
Ebenfalls erst vor wenigen Tagen wurde eine ominöse Arbeitsgruppe ‚Strukturreform‘ angekündigt, die sich – freilich erst nach den anstehenden Wahlen – mit der Finanzlage Wiesbadens beschäftigen soll. Schon ein Blick auf die Zusammensetzung dieser Arbeitsgruppe lässt jede Hoffnung schwinden, dass ein angemessener Umgang mit den strukturellen Problemen erfolgen wird.
Diese Probleme sind nicht erst im Herbst 2015 vom Himmel gefallen. Es drängt sich die Frage auf, was haben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition eigentlich in den zurückliegenden Monaten gemacht – nur auf Zeit gespielt? Und was haben Sie in den vergangenen Jahren gemacht?
Ein Beschluss zur Aufgabenkritik z.B. liegt doch seit langem vor. Dieser kontinuierlichen Aufgabenstellung haben Sie sich nicht gestellt. Allerdings kann sie nicht in einem kleinen Zirkel bearbeitet werden. Und man braucht eine Vorstellung davon, wohin man will, man braucht ein Leitbild.
Stattdessen müssen wir erleben, wie Herr Lorenz auf unterstem Stammtischniveau gegen frühkindliche Bildung polemisiert. Ihre groben Ausfälle gegen qualifizierte Kinderbetreuung, Herr Lorenz, offenbaren aber nur ihre Unkenntnis und ihr Unverständnis auf diesem Gebiet. Oder wollen Sie nur davon ablenken, dass sich die Koalition klammheimlich von den Ausbauzielen verabschiedet hat, für die sie sich noch vor einiger Zeit feiern ließ?
Sparen geht hier nur auf Kosten der Qualität in einem der wichtigsten Zukunftsfelder unseres rohstoffarmen Landes, der Bildung. Und auch das Lieblingsvorhaben von Herrn Lorenz, das wiederbelebt werden soll, die Ausgliederung der Kinderbetreuung aus dem Amt für Soziale Arbeit, wird nicht zur Quadratur des Kreises führen.
Wie unsinnig Ihr Vorgehen ist, zeigt sich auch daran, dass Sie erst mit dem Rasenmäher kürzen und dann mit Pauschalbeträgen zurückzahlen. Dies mit der Folge, dass einzelne Ämter nach diesem Hü-Hott plötzlich mehr Mittel zur Verfügung haben als vor der Kürzung, während andere Ämter nach wie vor erheblich unterfinanziert bleiben. Sachbezogene Haushaltspolitik mit Kraft zur politischen Gestaltung geht anders!
Was sich gerade auch an diesem Punkt zeigt, ist, dass der Magistrat hier keinen Haushaltsentwurf vorlegt, mit dem die Anforderungen Wiesbadens insgesamt in den Blick genommen werden. Vielmehr haben wir es mit sieben einzelnen Dezernats-Haushalten zu tun, die weitgehend unverbunden nebeneinander stehen. Das ist keine gute Voraussetzung, um Wiesbaden fit für die Zukunft zu machen.
Anrede,
ein realistischer Blick auf die HH-Lage zeigt die Probleme einer verfehlten Finanzpolitik und einer öffentlichen Diskussion der Verantwortlichen auf allen Ebenen, die nur mit dem Wort Irreführung zu beschreiben ist.
Wenn von ‚ausgeglichenem Haushalt‘ oder von ‚schwarzer Null‘ die Rede ist, dann gilt das bestenfalls auf dem Papier. Und das ist bekanntlich geduldig.
Tatsächlich wird diese ‚ausgeglichene Null‘ auf allen Ebenen durch Raubbau und Substanzverzehr erkauft. Öffentlich wird gerne davon geredet, dass nicht auf Kosten künftiger Generationen gelebt werden soll. „Generationengerechtigkeit“, „nachhaltige Finanzpolitik“ und dergleichen sind die Schlagwörter. Wenn man aber die Infrastruktur verrotten lässt, wenn bei Bildung gespart wird, wenn die mühsam errungenen Fortschritte in der frühkindlichen Bildung, für die gerade Anerkennung ausgesprochen wurde, wieder in Frage gestellt werden, dann leben wir auf Kosten künftiger Generationen.
Bestes Beispiel ist der Zustand unserer Schulen. Nicht nur, aber gerade auch in unserer Stadt. Auf über 400 Mio. Euro türmt sich der Investitionsstau an Wiesbadener Schulen. Immer länger wird die Wartezeit für einzelne Maßnahmen und immer teurer werden sie. Mittlerweile können die HH-Ansätze nicht mal mehr die Kostensteigerungen auffangen, die in Folge von unterlassenen Sanierungen entstehen. Von den gesellschaftlichen Folgen solcher Rahmenbedingungen für Bildung ganz zu schweigen.
Gerade unter dem Aspekt der Generationengerechtigkeit ist aber letztlich egal, ob das Minus im Haushalt steht oder ob es in Form kaputter Infrastruktur bei Schulen, Verkehrswegen oder Gebäuden quasi auf der Straße liegt. In beiden Fällen werden Kosten in die Zukunft verschoben. Dies auszublenden heißt, sich in die Tasche zu lügen.
Und was für die materielle Infrastruktur gilt, gilt auch für die ‚soziale Infrastruktur‘. Auch hier wird dieser Haushalt den gesellschaftspolitischen Anforderungen nicht gerecht.
Dass Sie das Ausbauprogramm in der Kinderbetreuung gestoppt haben, darauf habe ich schon hingewiesen. Warum Sie aber gerade die Freiherr-vom-Stein-Schule aus der Riege der betreuenden Grundschulen gekickt haben, bleibt offen. Es zeigt sich, bei Ihnen ist noch nicht mal sicher, was Sie selbst beschlossen haben.
Und wie Sie mit ihrem schwindsüchtigen Ansatz für den sozialen Wohnungsbau auf den gewaltig wachsenden Bedarf antworten wollen, bleibt ebenfalls ihr Geheimnis. Angesichts der Herausforderungen ist hier jedenfalls überhaupt kein Platz für Selbstlob.
Im Bereich Klimaschutz läuft das mit öffentlicher Beteiligung erstellte Integrierte Klimaschutzkonzept Gefahr, zu einer öffentlichkeitswirksam inszenierten Ankündigung zu verkommen: im HH wurde das erfolgreiche Programm energieeffizientes Sanieren auf ca. 20% des Ansatzes 2014/2015 herunter gekürzt. Auch der Ansatz für das Energiereferat wurde gekürzt. So bleibt das Klimaschutzkonzept bloß ein Papiertiger.
Auch die Bürgerbeteiligung beschränkt sich die Koalition eher auf‘s Marketing. Während das OB-Büro um eine zusätzliche Stabsstelle erweitert wird, fehlen den Dezernaten die Mittel für konkrete Maßnahmen.
Anrede,
angesichts der Tatsache, dass Land und Bund den Kommunen Aufgaben zuweisen, dies aber nicht angemessen finanzieren, muss die Einnahmesituation durch Erhöhung verschiedener Steuern verbessert werden. Diesen Schritt unterstützen wir, zumal das Land einen höheren Hebesatz bei der Gewerbe- und Grundsteuer unterstellt, als wir derzeit haben.
Auch eine Erhöhung der Hundesteuer ist in diesem Zusammen- hang grundsätzlich vertretbar. Ohne eine Sozialstafflung, die von der Koalition ausdrücklich abgelehnt wurde, werden wir hierzu aber nicht die Hand heben.
Wir haben weitere Einnahmeverbesserungen gefordert, so eine stärkere Ausschüttung insbesondere der KMW, aber die Koalition hat darauf verzichtet und lieber unsere dadurch gegenfinanzierten sozial- und umweltpolitischen Anträge abgelehnt.
Insgesamt müssen wir zum Thema städtischen Beteiligungen feststellen, dass wir in Sachen Transparenz und Kontrolle kaum weiter gekommen sind. Auch der Beteiligungskodex ist seit ca. einem Jahr überfällig. Hier zeigt sich erneut, dass der Magistrat der Aufgabenstellung ‚Strukturreform‘ offensichtlich keine angemessene Bedeutung beimisst.
Und so kommen wir nach den Beratungen im Finanz- und Wirtschaftsausschuss zum Fazit:
dieser Haushaltsentwurf enthält keine Impulse für die Zukunft, ist sozial unausgewogen und ökologisch leer.
Anrede,
lassen Sie mich abschließend den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung danken, die an dem sehr aufwändigen und komplizierten Haushaltsverfahren mit viel Engagement beteiligt waren. Ohne diese Vorleistung käme dieser Haushalt nicht zustande. Wir haben – auch auf unsere Anregung – die kursorischen Lesungen in ihrer Struktur geändert, was uns Parlamentariern geholfen hat, die umfangreiche Materie des Haushalts besser zu durchdringen.
Bedanken möchte ich mich auch beim Kollegen Stephan Belz, der in seinen ersten Haushaltsplanberatungen eine überzeugend ruhige und souveräne Weise offenbart hat und sicher durch die gewaltigen Papierberge geführt hat. Er hat sich als ein würdiger Nachfolger des verstorbenen Dieter Horschler gezeigt.
Vielen Dank.