24. Mai 2013

Regiobahn Wiesbaden

Rede des Stadtverordneten Claus-Peter Große von Bündnis 90/Die Grünen zu TOP I/6 Regiobahn Wiesbaden, Antrag der Stadtverordnetenfraktion von Bündnis 90/die GRÜNEN in der Stadtverordnetenversammlung am 23. Mai 2013

Es gilt das gesprochene Wort

Anrede,

als ich vor ziemlich genau zwei Monaten hier vor Ihnen stand, um über die Stadtbahn zu reden, hat mich die Dezernentin am Ende der Aussprache positiv überrascht, als sie mitteilte, dass die Stadtbahn „auf einem guten Weg“ sei. Davon kann seit dem 14. Mai keine Rede mehr sein.

 

An diesem Tag bekam unsere Verkehrsdezernentin ein Fax aus dem hessischen Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung, auf dessen Inhalt sich einzugehen lohnt. Nicht etwa weil dieser so inhaltsschwer wäre, nein, es handelt sich vielmehr um eine Sammlung von Pseudoargumenten und Plattheiten.  Wirtschaftsminister – und wohlgemerkt Vorsitzender der Wiesbadener FDP – Rentsch kündigt darin an, der Landeshauptstadt beim Stadtbahnprojekt Steine in den Weg zu legen, wo er nur kann. Hierzu als Auszug drei Beispiele:

 

– Minister Rentsch fordert die Prüfung von nicht schienengebundenen Systemalternativen. Das, meine Damen und Herren, wird aber im gesamten standardisierten Verfahren, das Wiesbaden mit Begleitung der Landesfachbehörde HessenMobil durchführt, überhaupt nicht gefordert! Damit wird die Stadt Wiesbaden in der Verfahrensdurchführung aus politischen Gründen benachteiligt.

 

– Wirtschaftsminister Rentsch argumentiert dann mit der vermeintlich fehlenden Suche nach „kostengünstigen Alternativen“. Spontan habe ich mich beim Lesen gefragt, ob der Minister an den Betrieb des Flughafens Kassel-Calden dieselben Maßstäbe anlegt?

 

– Der Minister postuliert, dass die GVFG-Finanzierung 2019 ausläuft und danach nichts mehr zu erwarten sei. Er verschweigt, dass es bereits eine Grundsatzaussage der Länder gibt, die sich damit auf ein Weiterbestehen der GVFG-Finanzierung mindestens in jetziger Höhe auch über 2019 hinaus verständigt haben. Projekte dieser Art sind demnach auch danach möglich und finanzierbar.

 

– Der Minister äußert „Zweifel“ an den Reisezeitgewinnen. Wozu lassen wir eigentlich Gutachten fertigen, wenn die per Fax geäußerten Zweifel eines Ministers gutachterliche Aussagen vom Tisch wischen können? Und wieso überrascht es mich nicht, wenn ich dieselben Zweifel wortgleich in einem FDP-Anti-Stadtbahn-Blatt nachlesen kann?

 

Hier kommen wir nämlich zum Kern der Sache:

 

Minister Rentsch ist nicht an einer sachlichen Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen und Zielsetzungen der Landeshauptstadt Wiesbaden gelegen. Hier wird aus parteipolitischen Motiven vom Wirtschaftsminister in seiner Doppelrolle als Vorsitzender der FDP Wiesbaden heraus kurzsichtig und an allen geordneten Verfahren vorbei agiert! Erinnern wir uns: im Stadtbahn-Zuschussverfahren hat der FDP-Wirtschaftsminister Posch das Verfahren zu einem positiven Abschluss gebracht. Minister Rentsch führt dagegen einen ideologisch motivierten Kreuzzug gegen die Stadtbahn.

 

 

Wir dagegen halten hier und heute fest:

 

die Notwendigkeit einer Stadtbahn ist unverändert vorhanden.

 

Unser oberstes Ziel der Verkehrspolitik ist es, die negativen Folgewirkungen des Verkehrs zu minimieren. Denn das Verkehrsgeschehen ist untrennbar mit den Auswirkungen auf die Umwelt verbunden.

Die negativen Folgewirkungen – wie Lärm, Gestank, Gefahr für Leib und Leben durch den Autoverkehr – können wir nur durch einen Ausbau des ÖPNV (öffentlicher Personennahverkehr) und eine Steigerung des Radverkehrsanteils in den Griff bekommen.

Eine weitere Steigerung der Fahrgastzahlen im ÖPNV mit dem vorhandenen Bussystem ist jedoch kaum noch möglich, zumal Wiesbaden weiter wachsen wird.

Wiesbaden muss sich mit dem Umland vernetzen, das geht nur auf der Schiene.

Und Wiesbaden muss Kaufkraft binden, das heißt seine zentralen Funktionen erhalten.

Das alles kann nur die Stadtbahn leisten. Das alles müsste auch Minister Rentsch wissen, aber er ignoriert dies aus parteiplitischem Kalkül.

Wie kommen wir weiter? Ich muss sagen, wie die Dinge stehen, bis September, dem Zeitpunkt der Wahlen gar nicht. Oder doch: erfüllen wir die Forderung des Ministers zum Systemvergleich. Wir können dabei nur gewinnen. Insofern ist auch der Antrag der FDP zu TOP 8 zustimmungsfähig. Das Vorwort beschließen wir ja zum Glück nicht mit. Nicht, dass der Antrag nötig wäre: unser Antrag vom März 2013, der inhaltlich in weiten Teilen von der Koalition übernommen wurde, hatte ganz ähnliche Forderungen, die sich ohnehin auf bestehende Beschlüsse bezogen und wo die Dezernentin gut daran getan hätte, den Systemvergleich mit dem Bus wie beschlossen, vorzulegen. Sie hätte zumindest dieses Argument des Ministers von vornherein entkräften können.

In diesem Zusammenhang irritieren mich allerdings die Widersprüche, die sich zwischen den Äußerungen der Dezernentin einerseits und dem Minister Rentsch andererseits zu Abstimmungen und Treffen mit der Ministeriumsebene ergeben. Es ist doch naheliegend, dass bei solch großen Zuschussverfahren der Kontakt mit der übergeordneten politischen Ebene eng gehalten werden muss und es nicht ausreicht, mit der Verwaltung und ministerialen Fachebene Abstimmungen zu treffen. Hier erwarten wir weitere Aufklärung von Seiten der Dezernentin.

Für mich ist aber auch juristisch von Interesse, ob sich vor dem Hintergrund des erwähnten Faxes das Land verfahrenskonform verhält oder ob sich für die Stadt Wiesbaden z.B. Beschwerde- oder Klagemöglichkeiten wegen offensichtlicher Benachteiligung ergeben.

Sie sehen, meine Damen und Herren, die Regiobahn ist für uns keineswegs erledigt. Der Wind ist rauher geworden und der Weg länger. Hier erwarten wir Stehvermögen von Koalition, Dezernentin und dem neuen Oberbürgermeister – einfach weil dieses Projekt so wichtig und so gut für Wiesbaden ist.

Wir werden aber auch über Zwischenschritte und B-Pläne reden müssen, da wir sehr schnellen Verbesserungsbedarf im ÖPNV haben, auch was den Zeitraum bis 2019/2020 betrifft. Die Planungen bis dahin beziehen sich ohnehin nur auf eine Trasse – was ist mit den anderen aufkommensstarken Stadtteilen? Und: Sind Vorlaufbetriebe mit Bussen auf späteren Stadtbahntrassen möglich? Diese Fragen müssen wir in der Folge noch vertiefen.