5. Juli 2013

Stärkung der Bürgerinnen und Bürger und der Stadtverordnetenversammlung – Erstellung eines Beteiligungskodex für die städtischen Beteiligungen

Rede des Stadtverordneten Felix Kisseler von Bündnis 90/Die Grünen zu TO I/TOP 6 „Stärkung der Bürgerinnen und Bürger und der Stadtverordnetenversammlung -Erstellung eines Beteiligungskodex für die städtischen Beteiligungen -“, Antrag der Stadtverordnetenfraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Stadtverordnetenversammlung am 4. Juli 2013:

 Es gilt das gesprochene Wort

Anrede,

wir Grüne beantragen einen Beteiligungskodex für die städtischen Gesellschaften.

Warum? Werfen wir einen Blick auf den Ist-Status in Wiesbaden.

„Die Stadt ist kein Konzern.“ Im besten Falle stimmt dies. Nun ist aber der beste Fall nicht immer, ja gar selten, der tatsächliche, reelle Fall. Und aus diesem Grund kann ich diesem Satz so nicht ganz zustimmen.

„Die Stadt sollte kein Konzern sein.“ Ja. „Die Stadt ist kein Konzern.“ Nicht ganz. Denn die Zahlen sprechen zu diesem Thema eine ganz andere Sprache. Wie ist denn die Lage in Wiesbaden? Lassen Sie uns auf die Fakten blicken und anerkennen, dass das Finanzvolumen der städtischen Beteiligungen weit höher ist als der Rahmen des städtischen Haushaltes. Wenn wir in den Haushaltsverhandlungen über Gelder für unsere politischen Ziele ringen, dann ringen wir nur um einen kleinen Teil vom großen Ganzen – und das obwohl doch das Haushaltsrecht das Hoheitsrecht der Stadtverordnetenversammlung ist.

Denn die Gelder, die in den städtischen Beteiligungen fließen, übersteigen nicht nur die Gelder, über die im Rahmen des Haushaltes entschieden wird deutlich, sondern sie prägen die Stadt auch. Wenn unsere Wohnbaugesellschaften baulich tätig werden, dann ist die Entscheidung hierzu nie nur wirtschaftlicher, sozialer oder planungstechnischer Natur. Sie ist immer auch politisch. Und doch zu einem gewissen Maße der politischen Hand und somit der öffentlichen Hand entzogen. Zwar sind die Aufsichtsräte auch mit Vertretern aus den Reihen der Stadtverordnetenversammlung besetzt, aber das ist noch lange nicht die goldene Lösung zur Heilung aller Probleme. Denn zum einen sind die Aufsichtsräte dem kritischen Blick der Opposition in weiten Teilen entzogen – die Opposition ist kaum in den Aufsichtsräten vertreten, wir Grüne können uns da im Gegensatz zu anderen noch glücklich schätzen – zum anderen sind die Aufsichtsräte ein Hort größter Geheimniskrämerei. Verschwiegenheitspflicht. Und schon wird die ganze Angelegenheit zur Farce.

Sehr geehrte Damen und Herren, das kann es und darf es so nicht geben.

Einerseits wird von Seiten der Koa in den Aufsichtsräten betriebsam hinter verschlossenen Türen agiert – psst, alles heimlich, still und leise – andererseits ist das Geschrei dann groß, wenn sich die Opposition mal einmischen will. Hierfür zwei Beispiele:

– Zeter und Mordio, wenn die Grünen mit standardisierten Anfragen in allen Aufsichtsräten aufschlagen! Was erdreisten wir uns auch nach der Sponsoring-Praxis der Gesellschaften zu fragen, die wir in unserer Funktion als Aufsichtsratsmitglied kontrollieren wollen und sollen. Und dann folgen erst mal Hinterzimmerabsprachen, wie mit der Anfrage umzugehen ist. Ein Armutszeugnis. Und dann bekommt man als fragender Aufsichtsrat eine Reaktion, keine Antwort von jemandem, den man gar nicht gefragt hat, der aufgrund der Verschwiegenheitsregelungen auch eigentlich gar nichts von der betreffenden Anfrage wissen dürfte. Das erinnert dann schon ein wenig an einen schlechten Hollywoodfilm. Geheimniskrämerei und Strippenzieherei.

– und dann ist da noch der Fall unseres fleißigen und engagierten Kollegen, Herr Göttenauer von den Piraten. Er würde so gerne seine Ideen in die verschiedensten Aufsichtsräte einbringen, hätte da auch die ein oder andere Frage. Jedoch: Die Türen sind ihm verschlossen. Was macht er also stattdessen? Er bringt diese Punkte in den Ausschuss für Wirtschaft&Finanzen ein, wo diese natürlich nicht hingehören. Und dann erntet er verständnisloses Kopfschütteln und Augenrollen – aber, meine Damen und Herren, was soll er denn anderes machen?? Die Wählerschaft hat ihn sicherlich nicht in dieses Gremium gewählt, damit er den Mund hält und resigniert!

Halten wir mal fest: die einen wollen Informationen haben und bekommen sie nicht, die anderen haben Informationen, dürfen aber nicht drüber reden und wiederum ganz andere freuen sich, dass genau dieser Zustand so existiert, damit sie fernab der Öffentlichkeit schalten&walten können.

Das Geflecht der städtischen Beteiligungen ist ein verworrenes, wildwucherndes Dickicht, das blickdicht und unübersichtlich ist. Längst sind die Wege, die durch diesen Dschungel führen nicht mehr zu erkennen, sie sind überwachsen, man könnte fast sagen, der Dschungel wächst so manchem hier über den Kopf. Dabei sollen die Pflanzen, die dort wachsen der Stadtbevölkerung dienen. Und das will erst überprüft werden. Wem dienen all die Beteiligungen eigentlich? Haben diese in der Form noch Sinn und Zweck für das Gemeinwohl? Oder gibt es auch Gesellschaften, die sich Selbstzweck sind – und beispielsweise zur Versorgung von verdienten Parteimitgliedern dienen? Wir, als Stadtverordnete, müssen die Übersicht über dieses außer Kontrolle geratene Gestrüpp wieder erlangen. Und als eine Art Gärtner zurückschneiden, was so nicht zum Nutzen der Bevölkerung gedeiht. Eine umfassende Struktur- und Aufgabenkritik ist daher vonnöten. Für mich, der ich nicht nur einen grünen Daumen, sondern zwei habe, bedeutet das, dass die städtischen Gesellschaften nicht nur Gewinnerwirtschaftung als Oberziel haben sollen, sondern auch Daseinsvorsorge, Gemeinwohl und ökologische, wie soziale Belange gleichwertig berücksichtigen müssen.

An diesen Zielen gilt es die Gesellschaften auszurichten, neu auszurichten. Für den Überblick und die wegweisende Zielfassung braucht es ein Regelwerk, einen verpflichtenden Kodex. Das ist kein Hexenwerk und an anderer Stelle schon längst umgesetzt. Städte wie Frankfurt und Darmstadt verfügen über einen solchen Beteiligungskodex, aber auch der Bund hat sich für seine Beteiligungen 2009 einen Kodex gegeben.

Wir beantragen daher, dass eine Arbeitsgruppe aus Verwaltung, den Fraktionen, aber auch externen Fachleuten einen Beteiligungskodex für die Stadt Wiesbaden erarbeitet, der die Position der Stadtverordnetenversammlung innerhalb des Geflechts der städtischen Beteiligungen stärkt. Dieses Regelwerk soll auch eine Standardisierung des Berichtswesens festlegen. Letzteres würde auch das Zweiklassensystem in der Berichterstattung der städtischen Beteiligungsunternehmen, das den Magistrat anders behandelt als die Stadtverordneten, beseitigen. Zu guter Letzt fordern wir die Einrichtung eines Beteiligungsausschusses, in dem allen Fraktionen die Teilhabe an der Kontrolle der städtischen Gesellschaften ermöglicht werden soll.

Ich halte die Erarbeitung eines solchen Kodexes subjektiv für etwas Gutes. Objektiv ist er notwendig. Ich bitte Sie daher um die Zustimmung zu unserem Antrag.