13. September 2013

Auswirkungen der Standortverlegung der US-Streitkräfte nach Wiesbaden

Rede des Stadtverordneten Ronny Maritzen von Bündnis 90/Die Grünen zum Antrag der Stadtverordnetenfraktion Bündnis 90/Die Grünen zu TOP I/6 „Auswirkungen der Standortverlegung der US-Streitkräfte nach Wiesbaden – Gesamtproblematik Militärflugplatz Erbenheim“ in der Stadtverordnetenversammlung am 12. September 2013

 

Es gilt das gesprochene Wort

 

Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorste­her, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Art. 28 Abs. 2 Satz eins des Grundgesetzes lautet:

„Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.“

Die politische Realität am Airfield Erbenheim fühlt sich anders an. Unsere amerikanischen Bündnispartner richten ihre Befugnisse konsequent an ihren eigenen Bedürfnissen aus.

Die Gemeinde ist die Grundlage des demokratischen Staates. Sie fördert das Wohl ihrer Einwohner in freier Selbstverwaltung durch ihre von der Bürgerschaft gewählten Organe.

Ich fühle ich mich als frei gewählter Vertreter der Wiesbadener gefordert und legitimiert, für deren verbriefte Rechte einzutreten. Dazu zählt nach meinem Verständnis unter anderem auch das Recht auf Ruhe. Mit dieser Ruhe ist es in Wiesbaden, auch im übertragenden Sinne, seit langem vorbei.

Wir GRÜNE sehen das Recht auf kommunale Selbstverwaltung durch das Verhalten der US Army als ausgehebelt an. Ob dieses Verhalten immer durch Recht, Gesetz oder die Regeln der Gastfreundschaft gedeckt sind, ist zu diskutieren.

Die Hauptthemen rund um das Airfield Erbenheim seien nochmals kurz benannt: Fluglärm, Landnahme und Stadtplanung/Infrastruktur. Hier sind die stärksten Beeinträchtigungen der Wiesbadener Bevölkerung zu vermelden.

Wie sieht es mit der kommunalen Selbstverwaltung Wiesbadens in diesen Punkten aus?

Das Projekt US-Headquarter läuft seit 2007.

Und die US Army verfolgt ihr Projekt mit aller Konsequenz. Die ziehen ihr Ding durch, haben klare Ziele und installierten ein US Headquarter Europe mitten im dicht besiedelten Rhein-Main-Gebiet, Luftlinie rund 5 km oder 10-15 Autominuten vom Dernschen Gelände entfernt. Mit allem Schnick und Schnack. Inklusive Geheimdienstzentrum. 4.150 Neubürger im Vergleich zu 2003.

Und Wiesbaden?

Bislang gibt es für die Grünen keine erkennbare vergleichbar wirksame Projektstruktur innerhalb der Verwaltung/des Magistrats, die der Komplexität der Lage auch nur im Ansatz gerecht würde.

Die US Army gibt den Takt vor und Wiesbaden tanzt mehr oder meistens weniger elegant zu diesem Rhythmus. Beispiele hierfür? Nehmen wir die Verkehrsproblematik.

Ach? Das Verkehrsaufkommen wird steigen?

Dann bauen wir doch einen neuen Verkehrsknotenpunkt am Fort Biehler und alles wird gut. Wohlgemerkt: der Verkehrsknotenpunkt wird erst dann gebaut, wenn das Verkehrsaufkommen schon da ist.

Ach, die haben auch Hubschrauber? Und die fliegen auch nachts?

Nun, da wird man am Ende des Tages nichts machen können.

Man möge mir den Zynismus an dieser Stelle nachsehen. Ein Zyniker ist ja ein Mensch, der bekanntlich an einer falschen Stelle das Richtige sagt.

Nochmals zum Ausgangspunkt: warum gibt es innerhalb des Magistrats keine adäquate Projektstruktur, die das Projekt European Headquarter der US Armee in Wiesbaden seit 2007 professionell betreut?

Es ist mühsam und wenig ergiebig, hier in der Vergangenheit zu forschen. Jedenfalls wurde versagt. Es ist an der höchsten Zeit das jetzt zu ändern. Und das ist die Stoßrichtung unseres Antrags.

Wir, die Wiesbadener Stadtpolitiker, sind gewählt um die Interessen unserer Bürgerinnen und Bürger zu vertreten.

Ich sagte vorhin, dass die US Amerikaner den Takt vorgeben und Wiesbaden nach diesem Rhythmus tanzt. Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen.

Ausdrücklich betonen möchte ich, dass mich Herr Karl Schneider, Inhaber der Baumschule Schneider in Erbenheim, dazu autorisiert hat hier – in der gebotenen Kürze – über seinen Fall zu sprechen bzw. zu berichten.

Tatsache ist, dass die Baumschule Schneider, bedingt durch das European Headquarter der US Armee in Erbenheim, in existenzielle Nöte geraten ist. Hauptstichwort an dieser Stelle sei die, nennen wir sie, „verkehrstechnische Ausnahmesituation“ rund um das Airfield und der Ausbau des Mittelpfads in Erbenheim.

Kurz gesagt: die Familie Schneider, die seit mehr als 350 Jahren Landwirtschaft in Erbenheim betreibt, fühlt sich von der Wiesbadener Stadtpolitik und der Verwaltung schlicht im Stich gelassen. Man rede nicht mit ihnen, sondern über sie. Und das auch nur, weil massiver Druck aufgebaut wurde. Hingegen würde, so die Wahrnehmung der Familie Schneider, die Erfüllung der Wünsche der US Amerikaner diesen „möglichst auf dem Silbertablett präsentiert“.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da läuft etwas grundlegend schief! Hier müssen wir einfach gegensteuern!

Das Fazit bis dahin: kommunale Selbstverwaltung hat auch etwas mit Wollen zu tun; dieser Wille ist zu schwach erkennbar!

Kommen wir zum Dürfen der kommunalen Selbstverwaltung, den Gesetzen, die dagegen stehen.

Seit Monaten nehmen die Beschwerden über Fluglärm, hier insbesondere die nächtlichen Hubschrauberflüge am US Airfield zu. Betroffen sind vorwiegend die östlichen und südlichen Stadtteile.

Was zumindest wir von Anfang an befürchtet haben, bestätigt sich nun. Und der Fluglärm wird eher noch zunehmen.

Es ist dringend notwendig, dass der CDU/SPD-geführte Magistrat sich noch nachdrücklicher im Bund dafür einsetzt, dass die Amerikaner sich an die Nachtruhe halten!

Die Menschen in und um Wiesbaden wollen nicht länger tatenlos zusehen, wie zunehmend ihre Gesundheit durch nächtliche Übungsflüge gefährdet wird und die politisch Verantwortlichen vor Ort sich hinter den Relikten einer veralteten Militärpolitik verkriechen. Sie wollen nicht länger in besatzungsähnlichen Strukturen leben. Sie bestehen auf ihre Menschenrechte und ihre Menschenwürde, die ihnen unsere Verfassung garantiert. Sie glauben nicht an die Quadratur des Kreises; nicht daran, dass man das militärische Trainingsbedürfnis der US Piloten mit dem Ruhebedürfnis und den Rechten der Zivilbevölkerung vereinbaren kann. Sie fordern eine einfache Lösung: die Verlegung der Übungsflüge auf dafür vorgesehene Truppenübungsplätze.

Die Richter am Bundesverfassungsgericht haben mit ihrer Entscheidung zu den Nachtflügen am Frankfurter Flughafen klargestellt, dass der Gesundheitsschutz der Bevölkerung Vorrang hat vor wirtschaftlichen Interessen der Luftfahrtbranche.

In seiner Urteilsbegründung hebt das Gericht hervor, dass die Nacht nicht zum Tage gemacht werden dürfe. Mit dieser Entscheidung stellt sich das Gericht eindeutig auf die Seite eines erhöhten Gesundheitsschutzes für die betroffene Bevölkerung.

Ich frage Sie und mich, warum soll diese Entscheidung nicht auch für den militärischen Flugbetrieb gelten?

Mit dem Aufenthaltsabkommen von 1954 und dem NATO-Truppenstatut von 1951 wurde die Grundlage für den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in Deutschland geschaffen.

Bis heute gibt es, jedenfalls nach unseren Erkenntnissen, keine umfassende regelmäßige Unterrichtung der Bundesregierung über den Aufenthalt und die Tätigkeit ausländischer Streitkräfte in Deutschland sowie über die gewährten Sonderrechte. Diese Unterrichtung fehlt, obwohl davon weite Teile der Bevölkerung in der Umgebung der Liegenschaften und Übungsgebiete direkt betroffen sind und wie zahlreiche Beschwerden aus der Bevölkerung – auch in Wiesbaden – belegen.

Der Magistrat muss die Gespräche mit der US Army intensivieren. Er muss auf allen Ebenen und mit mehr Engagement und Vehemenz für das Ruhebedürfnis der Bürgerinnen und Bürger eintreten. Die Situation zu beklagen ist zu wenig. Oder aber juristisch…

Ziel muss es sein, eine Änderung der besonderen Bestimmungen zum Betrieb des Flugplatzes im Sinne eines Verzichts auf nächtliche Übungsflüge zu erreichen. Zum anderen ist ein regelmäßiges Überfliegen des Industrieparks InfraServ zu unterbinden.

Die Übungspraxis der US Armee (Flüge bis 2:00 Uhr nachts, Wochenendflüge et cetera) zeigt, dass der Ausnahmefall rund um das Flugfeld Erbenheim längst zum Regelfall geworden ist.

Es wird deutlich, dass die bestehenden Bestimmungen zum Regelbetrieb der Hubschrauberbasis, insbesondere mit Blick auf die Ausnahmedefinition, unscharf und lückenhaft formuliert sind.

Darüber hinaus stelle ich fest, dass die Gremien der Landeshauptstadt Wiesbaden in aller Regel an Veränderungsprozessen rund um das Airfield Erbenheim nicht oder doch zu spät beteiligt wurden.

Es sprengte den Rahmen dieser Rede, alle Einzelaspekte des Projekts US Headquarter Europe zu entwickeln, ja auch nur zu streifen. Unser Antrag verfolgt die Hauptstoßrichtung: die überfällige Gesamtbetrachtung ist vorzunehmen und entsprechende Aktivitäten sind endlich einzuleiten. Die verschiedenen betroffenen Ausschüsse können und sollen zuarbeiten, was Sie bereits heute tun. Aber eine zentrale Steuerung ist endlich nachvollziehbar und wirksam einzusetzen. Und überfällig sind auch die wirkliche Einbindung und das Schaffen von Transparenz für die Wiesbadener Bürgerinnen und Bürger. Nur von diesen haben wir einen Auftrag. Und nur diesen sind wir Rechenschaft schuldig.