14. Juli 2016

Brennstoffzellentechnologie im Öffentlichen Personennahverkehr, Rede des Stadtverordneten Daniel Sidiani

zu TOP 6 der TO I, Gemeinsamer Antrag der Stadtverordnetenfraktionen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, in der Stadtverordnetenversammlung am 14. Juli 2016

Es gilt das gesprochene Wort

[Anrede]

Manchmal lohnt sich ja ein Perspektivwechsel, deshalb stellen wir uns doch mal folgendes vor: Angenommen, im letzten Jahr wären im Wiesbadener Trinkwasser die Jahresgrenzwerte für ein Gift, das zu Herz-Kreislauf-Todesfällen führt, mit 34 Prozent überschritten worden. Was wäre dann hier los! „Wiesbadener Wasser ist tödlich“ – Wir alle können uns die Schlagzeilen bildlich vorstellen, verbunden mit dem berechtigten Ruf, diesen Zustand schnellstmöglich zu beenden.

Nun, einen ähnlichen Fall haben wir seit Jahren, zwar nicht beim Wasser, aber bei der Wiesbadener Luft – und zwar bisher ohne den ganz großen Aufschrei. An den beiden Innenstadt-Messstationen Schiersteiner Straße und Ringkirche lagen wir letztes Jahr bei 134 Prozent bzw. 132 Prozent des maximal zulässigen Jahresmittelwerts für das Gift Stickstoffdioxid – die krebserregende Feinstaubbelastung und der Lärm kommen da noch oben drauf. Das heißt im Klartext: Mehrere tausend Wiesbadenerinnen und Wiesbadener wohnen in Stadtvierteln, in denen eigentlich niemand wohnen dürfte. Das Innere der selbsternannten Gesundheitsstadt Wiesbaden ist krank von seiner schlechten Luft.

Es verwundert deshalb nicht, dass die Deutsche Umwelthilfe im Januar erfolgreich gegen die gesundheitsschädliche Luft in Wiesbaden geklagt hat. Beklagter war das Land Hessen, weil es eben formal für die Luftreinhaltepläne zuständig ist. Es wäre jetzt sicher für den ein oder anderen verlockend, mit dem Finger aufs böse Land zu zeigen, aber das ginge hier vollkommen an der Sache vorbei. Denn die Instrumente, die wirklich die Situation verbessern könnten, liegen weniger beim Land, als vielmehr beim Bund und bei der Stadt. Das Land wünscht sich sehnlichst, dass es mehr Instrumente an die Hand bekommt: City-Maut, steuerliche Angleichung Benzin und Diesel, Differenzierung der LKW-Maut nach Schadstoffwerten und auch die blaue Plakette: All das hat Hessen auf der Umweltministerkonferenz im November gefordert, all das wurde aber von Herrn Dobrindt blockiert.

Im Rahmen seiner begrenzten Möglichkeiten hat das Land jedenfalls eine Menge auf den Weg gebracht, um Alternativen zum Auto zu fördern:

  • Erfolgreicher Einsatz für Erhöhung der Regionalisierungsmittel, mit denen der ÖPNV-Betrieb finanziert wird.
  • Erfolgreicher Einsatz für die Wallauer Spange, d.h. bald wird es möglich sein, vom Hauptbahnhof zum Frankfurter Flughafen in nur 13 Minuten zu fahren. Damit rücken wir ganz nah ran ans bundesweite ICE-Netz.
  • Das Land verteilt Bundesmittel jetzt endlich gleichberechtigt 50:50 in Straßen- und Schienenbau, statt wie früher nur die Straße zu bevorzugen.
  • Gründung der AG Nahmobilität, mit der Fuß- und Radverkehr vorangebracht werden sollen
  • Gerade erst vor zwei Tagen: Pilotversuch brennstoffzellenbasierter Lieferverkehr in Hanau gestartet
    – und das ist nur eine kleine Auswahl.

Es ist keine neue Erkenntnis, dass der Schadstoff-Verursacher Nummer 1 der Autoverkehr – insbesondere der dieselbetriebene – ist und dass wir deshalb mehr Anreize zum Umsteigen schaffen müssen. In Wiesbaden kommt dabei unserem Bussystem aus zwei Gründen eine besondere Bedeutung zu, denn:

  • wir leben in einer der wenigen deutschen Großstädte ohne schienengebundenen Stadtverkehr – und
  • wir dümpeln bei einem mickrigen Radverkehrsanteil von unter 6 Prozent herum, gelten laut ADFC-Ranking als fahrradfeindlichste Großstadt Deutschlands

Bei beidem haben sich die politischen Mehrheiten hier im Rathaus in den vergangen Jahren leider nicht durch Übereifer hervorgetan. Was die schlechte Luft angeht, müssen wir uns also in Wiesbaden zuerst einmal an die eigene Nase fassen.

Wir nehmen also zur Kenntnis: Der Busverkehr spielt in Wiesbaden eine deutlich größere Rolle als in anderen Städten. ESWE Verkehr tut heute schon sehr viel, um sauberer zu werden: Die Busflotte wird kontinuierlich erneuert mit EURO 6-Fahrzeugen, erste batteriebasierte Hybrid-Fahrzeuge sind im Einsatz, es gab Schulungen in spritsparender Fahrweise für die Fahrerinnen und Fahrer, über den Bus-Port spannt sich eine riesige Photovoltaik-Anlage. Ich denke, da gibt es keine zwei Meinungen: Unsere Verkehrsgesellschaft unternimmt hier immense Anstrengungen, die Lob und Anerkennung verdienen.

Aber zaubern kann ESWE Verkehr eben auch nicht. Die Mehrzahl der Busse ist noch mit älteren Normen als EURO 6 unterwegs – dabei stößt ein Dieselbus doppelt so viel Stickstoffoxide und Feinstaub aus wie ein schwerer LKW. Wir begrüßen es deshalb sehr, dass ESWE sich mit den Verkehrsgesellschaften aus Frankfurt und Mainz zusammengetan hat, Geld in die Hand nimmt und neue Wege gehen will, weg vom schmutzigen Diesel, hin zu modernsten Brennstoffzellenbussen, die rheinübergreifend mit Mainz im Alltagsbetrieb getestet werden sollen. Und da haben wir es nun mit einem Projekt zu tun, bei dem das Land tatsächlich etwas tun kann – und auch müsste, damit das Projekt nicht scheitert.

Die Bedingungen aus Sicht des Landes Hessen könnten besser kaum sein: Mit einem Beitrag von gerade mal 1,8 Millionen Euro würde eine 10-mal so hohe Investition aktiviert. Der Beitrag müsste auch nicht aus dem laufenden Landeshaushalt herausgeschnitten werden, sondern wäre erst 2017 oder 2018 fällig; zum jetzigen Zeitpunkt wäre nur die Absichtserklärung nötig.

[Anrede]

Ich bin wahrlich kein Freund davon, Zuschüsse abzugreifen um des Abgreifens willens. Denn auch Zuschüsse vom Bund und der EU sind ja nicht einfach so „da“, sondern sie sind das Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, mit dem wir verantwortungsvoll umzugehen haben. Ob sich als Speicher am Ende die Brennstoffzelle oder die Batterie durchsetzt, kann heute noch niemand mit Sicherheit voraussagen. Experten sprechen beiden Technologien ihre Berechtigung zu: der Batterie für kleinere Städte mit kürzeren Strecken, der Brennstoffzelle für größere Städte, wo längere Reichweiten gefragt sind. Wir sind deshalb gut beraten, uns nicht heute schon auf eine Technologie festzulegen, sondern beide im täglichen Betrieb auf Herz und Nieren zu testen, um zu erfahren: Passt die Technologie zur Stadt? Die Investition des Landes Hessen wäre also gut angelegtes Geld. Es wäre eine Investition, die nicht nur der Verkehrswende, dem Klimaschutz und der Luftqualität zugute kommt, sondern natürlich auch auf das Land Hessen als Innovationsstandort einzahlt. Und nicht zuletzt würde hier eine weitere rheinübergreifende Zusammenarbeit zwischen Wiesbaden und Mainz ermöglicht. Das ist übrigens etwas, von dem wir in Zukunft noch viel mehr brauchen, wenn wir die Herausforderungen des Ballungsraumes ernsthaft bewältigen wollen.

Deshalb: Lassen Sie uns diesen Antrag mit einer breiten Mehrheit beschließen, lassen Sie uns ein starkes Signal ans Land aussenden, dass wir hier als extrem belastete Stadt auch auf eine besondere Unterstützung angewiesen sind.

Und lassen Sie uns dann aber mit der auch mit der gleichen Entschlossenheit all die Maßnahmen anpacken, mit denen wir die Luft in unserer Stadt sauberer machen können, die tatsächlich in kommunaler Hand liegen und die wir uns auch leisten könnten, wenn wir nur wollen: Ein sicheres Netz von Radstreifen endlich auch auf den Hauptverkehrsstraßen, ein Fahrradschnellweg nach Mainz, mehr Tempo 30 für einen besseren Verkehrsfluss, die Aufwertung der acht Bahnhöfe im Stadtgebiet, aber auch Investitionen ins Stadtgrün, in Fassadenbegrünung und die dauerhafte Freihaltung von Frischluft-Entstehungsgebieten.

Wenn es nach den Grünen geht, können wir morgen damit anfangen – auch da würden wir uns freuen, wenn da möglichst viele andere Fraktionen mit uns am selben Strang ziehen. Denn nur dann kriegen wir es auch hin, dass Wiesbaden nicht nur eine Gesundheitsstadt ist, sondern auch eine gesunde Stadt.