16. November 2017

Dorothea Angor zu „Beendigung der Städtepartnerschaft zwischen Wiesbaden und Fatih“, Antrag der AFD

Rede der Stadtverordneten Dorothea Angor von Bündnis 90/Die Grünen zu TOP 9 der TO I „Beendigung der Städtepartnerschaft zwischen Wiesbaden und Fatih“, in der Stadtverordnetenversammlung am 16. November 2017

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Frau Stadtverordnetenvorsteherin, meine Damen und Herren!

Schauen wir uns diesen „Antrag“ genauer an:

„Fatih ist einer der islamisch-fundamentalistischsten Stadtteile Istanbuls und eine Hochburg der AKP“: Diese Behauptung trifft nicht zu. Fakt ist, dass die Stimmenanteile der Regierungspartei AKP dort in den letzten Kommunalwahlen unter oder auf dem Niveau von denen in Gesamt-Istanbul lagen.

Weiter heißt es, dass es darum ging, mit der Partnerschaft den EU-Beitrittsprozess der Türkei zu fördern. Fakt ist, dass die im Letter of Intent von 2009 genannte Absicht, den EU-Beitrittsprozess zu unterstützen, weder Teil des Stadtverordnetenbeschlusses für die Partnerschaft von 2012 (14.06.2012, 0358, STVV) geworden noch in der Vereinbarung zur Partnerschaft vom 18.9.2012 auftaucht.

Das Ziel des Wiesbadener Haushaltsplans 2016/17, den europäischen Gedanken zu beleben, wäre nur teilweise von Entscheidungen über einen EU-Beitritt betroffen: Europa ist nicht gleichzusetzen mit der EU. Der europäische Gedanke ist der des Friedens und der Freundschaft der Länder.

Fakt ist weiterhin, dass Bewertungen der Politik und der Zivilgesellschaft  in Ihrem Antrag vollkommen ignoriert werden. So hat z. B. das Deutsche Generalkonsulat In Istanbul mehrfach erklärt, dass  die aktive Partnerschaft gerade jetzt, in diesen Zeiten wichtig sei. Und  Wiesbadener Stimmen sprechen sich einmütig für die Fortsetzung der Partnerschaft aus (WK 29.9.2017).

Wenn wir uns gemeinsam anschauen, was alleine in diesem Jahr vom Partnerschaftsverein an Begegnungen realisiert wurde, wird deutlich, dass es hier um Völkerverständigung geht:

* Vortrag einer Krimistipendiatin aus Istanbul für den Verein,

* Besuch des CAL- Gymnasiums aus Fatih bei der Oranienschule und dem Verein, ca 100 Personen

* Teilnahme von zwei Mädchen-Teams aus Fatih am Int. Volleyballturnier des VCW, Rheinfahrt mit dem Verein, 30 Pers. direkt

* Ausstellung eines Istanbuler Malerpaares im kunst modul, Spende und Werbung durch Verein, Öffentlichkeit

* Besuch von Berufsschullehrern aus Fatih bei der F. Ebert-Schule in Wiesbaden, Einladung des Vereins, ca 30 Personen

*5-jähriges Jubiläum der Gründer in Fatih, Treffen mit Stadtpolitikern und Treffen mit Freunden, ca 80 Personen

*Besuch eines Paares aus Istanbul bei den Dichterpflänzchen und dem Verein, Einladung des Vereins, ca 20 Personen.

Wir haben die Aufnahme der Partnerschaft durchaus auch kritisch begleitet. Aber es lässt sich unschwer erkennen, dass die Städtepartnerschaften nicht im engeren Sinne politisch zu bewerten sind, sondern vielmehr Bürgerinnen und Bürgern dazu dienen, Barrieren zwischen den Völkern abzubauen, gar Brücken zu schlagen, wo man sie auf anderer Ebene nicht schlagen kann. Bürgerschaftliches Engagement muss weiterhin unsere volle Unterstützung erfahren!

Wenn 50% der türkischen Bevölkerung für die AKP gestimmt haben, bedeutet dies im Übrigen, dass 50% eben gegen die Regierung gestimmt haben. Vielleicht verstehen Sie diese Rechnung ja irgendwann. Sie hören es schließlich nicht zum ersten Mal.

Es ist UNSERE Aufgabe, dieser Hälfte der Bevölkerung beizustehen und die Verbindung aufrecht zu erhalten. Nicht, die Brücken wieder einzureißen. Wir finden, dass es gerade in der momentanen Situation fatal wäre, die Städtepartnerschaft zu beenden. Ein falsches Signal, auch an die zahlreichen türkischstämmigen Menschen unserer Stadt und für all das Engagement, das hinter dem Partnerschaftsverein steht.

Aber das ist wohl der wahre Kern Ihres Antrages: Es geht Ihnen darum, Brücken zwischen den Menschen einzureißen, um die für Sie so günstige Situation der Angst vor dem Unbekannten beizubehalten.  Denn was ist Ihre Partei, wenn es nicht den bösen Islamist, den Türken, den Flüchtling gibt? Da brauchen wir alle nicht lange nachzudenken. Die AfD wäre passé.

Uns aber geht es darum, die Integration weiter voranzutreiben und keine Feindschaften zwischen Menschen aufzubauen, wo sie nicht vorhanden sind. Uns geht es um ebenjenen europäischen Gedanken, den sie so verquer als Gegenargument missbrauchen.

Daher bitten wir den Magistrat – so wie wir es auch schon 2012 taten – die Partnerschaft mit dem Stadtteil Fatih hinsichtlich der im Juni 2011 mit Beschluss 0036 im Ausschuss für Bürgerbeteiligung, Völkerverständigung und Integration beschlossenen Kriterien für Städtepartnerschaften zu untersuchen und darüber zu berichten.

Ein solcher Bericht kann und darf die Grundlage für eine Evaluierung der Städtepartnerschaft mit Fatih sein. Eine Entscheidung aber lässt sich daraufhin auch nur treffen, wenn man die Negativeffekte einer Beendigung mit berücksichtigt. Auf eine Diskussion mit dieser Grundlage freue ich mich. Nicht aber auf der Grundlage eines vorschnellen, populistischen Antrags ohne entsprechende Grundlage, der Stimmung aufgreifen will, um auf der Welle der Angst zu reiten.

Deswegen werden wir klar und deutlich mit NEIN stimmen.

Vielen Dank!