22. März 2013

Entwicklung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) voranbringen

Rede des Stadtverordneten Claus-Peter Große von Bündnis 90/Die Grünen zu TOP 7, 13-F-03-0030, Antrag der Stadtverordnetenfraktion von Bündnis 90/die GRÜNEN in der Stadtverordnetenversammlung am 21. März 2013

Es gilt das gesprochene Wort

Anrede,

eine Regiobahn für Wiesbaden! Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, dass ich große Sympathien für diese Idee hege. Doch um meine Befindlichkeiten geht es hier nicht.

Wiesbaden hat in den nächsten Jahren eine Reihe von Aufgaben zu lösen:

Insbesondere die BewohnerInnen in der Innenstadt klagen über schlechte Luft, eine hohe Lärmbelastung und Folgen für die Gesundheit wie Stress und Atemwegserkrankungen. Tatsächlich beträgt der Anteil vor allem des Straßenverkehrs an den Luftschadstoffemissionen bei Kohlenmonoxid und Stickstoffoxiden mehr als 50 Prozent. Der Anteil des Verkehrs am Kohlendioxidausstoß in Deutschland liegt mit 21 Prozent hinter dem Energiesektor an zweiter Stelle.

Das oberste Ziel der Verkehrspolitik muss daher sein, die negativen Folgewirkungen des Verkehrs zu minimieren. Dies wird auch seitens der EU gefordert und ist mit der Richtlinie 1999/30/EG in Verbindung mit Richtlinie 2008/50/EG geltendes Recht. Das heißt zum Beispiel, dass der NO2-Grenzwert von 40 µg/m³ bis spätestens 2015 einzuhalten und dafür die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen sind ist – merken Sie sich diese Jahreszahl, die brauchen wir noch -. Das Verkehrsgeschehen ist untrennbar mit den Auswirkungen auf die Umwelt verbunden. Daher ist Verkehrspolitik auch immer Umweltpolitik.

Eine weitere Steigerung der Fahrgastzahlen mit dem vorhandenen Bussystem ist kaum noch möglich, zumindest nicht in der Höhe, die wir GRÜNE anstreben, um die Innenstadt vom Verkehr zu entlasten und lebenswerter zu machen. Um mal eine konkrete Zahl zu nennen: wir streben als realistische Größe eine Erhöhung des ÖPNV-Anteils um 50 Prozent auf dann rund 25 Prozent aller Wege an. (2003 wurden rund zwei Drittel der Wege mit dem MIV bewältigt, der Anteil des ÖPNV betrug 16,2 Prozent, Fuß und Rad 19,1 Prozent.)

Die Aufgabe der Kommune ist aber auch, den Standort Wiesbaden als wirtschaftliches, kulturelles und administratives Zentrum zu erhalten und zu stärken. Wiesbaden muss sich als Standort im Wettbewerb in der Region Rhein-Main behaupten und als Oberzentrum im Westen der Metropolregion weiterentwickeln. Und es muss Kaufkraft binden, das heißt für die Fachleute den Zentralitätsfaktor hochhalten.

Die genannten Ziele lassen sich durch eine gezielte Stärkung des ÖPNV erreichen. Nur so kann der motorisierte Individualverkehr auf ein für die Lebensqualität erträgliches Maß begrenzt werden und gleichzeitig die wirtschaftliche Funktion Wiesbadens in und für die Region gestärkt werden.

Das kann die Stadtbahn leisten.

Außerdem brauchen wir die leistungsstarke infrastrukturelle Verknüpfung der Landeshauptstadt mit dem Umland mit direkter Innenstadtanbindung, um die Pendlerströme auf den ÖPNV umleiten zu können. Dies ist aber nur mit einer Schienenverbindung möglich. Wir wissen auch aus allen Untersuchungen: Pendler fahren mit der Bahn oder mit dem eigenen Auto. Mit Bussen lassen sich Autofahrer kaum zum Umsteigen auf den ÖPNV bewegen. Eine Bahnverbindung ist komfortabler und bietet Vorteile bei der Kombination verschiedener Verkehrsmittel.

All das hat der Ansatz zur Einführung eines Stadtbahnsystems in den Jahren vor 2001 geboten. Die heutige Koalition nahm diese Ideen in ihrem Koalitionsvertrag im Grundsatz wieder auf. Hinzu kam der neue Aufkommensschwerpunkt Behördenzentrum / Mainzer Straße, aber die aus unserer Sicht wichtige Anbindung an den Rheingau-Taunus-Kreis fiel leider zunächst weg.

Die Koalition hat damit dennoch eine zentrale verkehrspolitische Maßnahme angestoßen, die eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Entwicklung unserer Stadt hat und die ihre volle Wirkung als ausgebautes Netz entfalten wird.

Wir alle wissen, dass Maßnahmen von dieser immensen baulichen und finanziellen Tragweite intensiv kommuniziert und breit in die Bevölkerung getragen werden müssen. Bürgerinformation und Bürgerbeteiligung sind somit zentrale Schlüsselelemente bei jedem Großprojekt. Dies gilt umso mehr, da die Bürgerschaft eine immer kritischere Grundhaltung zu Großprojekten erkennen lässt, dies u. a. ausgelöst durch Prestigeobjekte wie Stuttgart 21 oder die Hamburger Elbphilharmonie kurz: immer dann, wenn Planungsfehler und Mehrkostenanmeldungen ans Licht kommen.

Beispiele für die Wirkung der Kommunikation gibt es derzeit zuhauf:

–          in  Aachen ist das Projekt „E-Mobilität mit der Campusbahn“ an einer eigentlich guten sachlichen, aber letztendlich zu unemotionalen und zu späten Beteiligung gescheitert

–          dagegen Mainz: hier kommt die Mainzelbahn voran und hat gute Umfragewerte, ausgelöst durch einen mehrstufigen Planungsprozess – Bürgerwünsche sind in die Planung eingeflossen und werden umgesetzt, was sich im Internet bequem nachvollziehen lässt

–          Den Vogel hat aus meiner Sicht Metz – allerdings für ein Busprojekt – abgeschossen: intensive Information im Vorfeld, ein eigenes Informationshaus in corporate design Farben und speziellem Design, und ein sehr ausführlicher Internetauftritt. Die Umsetzung läuft bereits!

–          Wie groß die Notwendigkeit  einer außerordentlich intensiven Kommunikation bei komplexen Projekten ist, erleben wir in Wiesbaden derzeit beim Projekt „Windenergie“ sehr deutlich, was ja heute Abend noch Thema sein wird.

Was heißt das für das Projekt Regiobahn? 3 Punkte:

1          der Magistrat muss auf die erhöhten Anforderungen aus der Bürgerschaft mit einer Informationsoffensive reagieren. Wir alle, vor allem aber der Magistrat, müssen sie die Menschen mitnehmen, dazu braucht es finanzielle Mittel für Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation. Bei den Rhein-Main-Hallen, einem Projekt in ähnlicher finanzieller Größenordnung zögern Sie nicht so lange.

2          Der Magistrat muss die Planung in allen Stufen – auch in den unfertigen – vorstellen – und zwar vor Ort. Waren Sie schon in Klarenthal, Frau Dezernentin? Die Regiobahngegner waren schon da und haben Schneisen der Stimmungsmache hinterlassen.

3          Der Magistrat, und letztendlich wir alle, müssen Alternativen betrachten und abwägen und unsere Entscheidung argumentativ untermauern und wiederum breit kommunizieren. Nur so können wir die traditionell skeptischen Wiesbadener von den Vorteilen des Systems überzeugen.

–       Das heißt, der Magistrat muss dem Stadtparlament und der Öffentlichkeit darlegen:

–              Warum können wir nur mit einem Stadtbahnsystem die Verkehrsprobleme nachhaltig lösen?

–              Welche Alternativen wurden geprüft und warum wurden sie verworfen?

–              Wie soll das Gesamtnetz aussehen?

–              Wie ist die Vorgehensweise?

–              Wie ist der Zeitplan?

–              Wie stellen sich die Kosten dar, auch im Vergleich mit anderen Systemen?

Der Beschluss des Stadtparlamentes Nr. 0786 vom 21.12.2011 sah ja auch einiges in dieser Richtung vor.

NUR: Was passiert zum Thema Regiobahn in dieser Richtung?

Nach einer halbherzigen Doppelseite im Wiesbadener Kurier in der weihnachtlichen Sauregurkenzeit (z.B. fehlen Angaben zu den Erschließungsbussen) – Nichts!

Die fatale Folge: inzwischen kreisen Gerüchte durch die Stadt, Halbwahrheiten verbreiten sich in Windeseile und Märchen werden in die Welt gesetzt. Die Stimmung gegenüber einer Stadtbahn verschlechtert sich kontinuierlich, weil den Negativgerüchten nichts, aber auch gar nichts, entgegensetzt wird!

Anrede,

ich gehe immer noch davon aus, dass wir alle gemeinsam unsere Stadt voranbringen wollen. Wenn Sie den Ausbau des ÖPNV in Wiesbaden wirklich wollen, ist Aktivität gefragt – und zwar jetzt! Mit einem Weiterwurschteln wie bisher wird das nichts!

Es ist mir völlig unverständlich, wieso ein solch wichtiges zukunftsweisendes Projekt so halbherzig angegangen wird. Was soll ich nun daraus schließen?

–       soll ich daraus schließen, dass die Koalition einen Formelkompromiss in den Koalitionsvertrag reingeschrieben hat, um das Thema mit ein paar netten Bildchen zu erledigen?

–       oder soll ich daraus schließen, dass die Koalition ihre eigene Dezernentin finanziell und organisatorisch ausbremst?

–       oder ist es die Dezernentin, die DAS zentrale Umwelt- und Verkehrsprojekt für unsere Stadt aus mir unbekannten Gründen in Grund und Boden versenkt?

–       Oder können Sie gleich wegweisende Erhellungen vortragen – das würde mich in diesem Fall sogar freuen?

Eins möchte ich nochmals betonen: Wenn dieser Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern von Ihnen nicht sofort begonnen wird, dann zeigt das deutlich, dass das Projekt Regiobahn von Ihnen nicht gewollt wird!

Wir jedenfalls fordern Dezernat und Koalition mit unserem Antrag auf, endlich Nägel mit Köpfen bei diesem Projekt machen. Setzen Sie endlich Ihre eigenen Beschlüsse um! Beziehen Sie die Bürgerinnen und Bürger mit ein! Und statten Sie das Projekt mit den notwendigen finanziellen Mitteln für Kommunikation aus.