22. September 2016

ESWE Verkehr zum modernen Mobilitätsdienstleister ausbauen

Rede des Stadtverordneten Claus-Peter Große in der Stadtverordnetenversammlung am 22. September 2016

Es gilt das gesprochene Wort

Anrede,

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unterstützt im Grundsatz den Antrag der CDU-Fraktion, ESWE-Verkehr zum führenden Mobilitätsdienstleister zu entwickeln. Der Änderungsantrag der SPD zeigt jedoch, dass es noch erheblichen Diskussionsbedarf über den Weg und die künftige Struktur gibt. Das würden wir gerne zunächst ausführlicher im Ausschuss für Bau, Planung und Verkehr diskutieren und beantragen daher die Ausschussüberweisung.

Worin sehen wir GRÜNE den Sinn? Nun, mit ESWE Verkehr als umfassendem Mobilitätsdienstleister in unserer Stadt schaffen wir eine wichtige Grundlage, um Mobilität in unserer Stadt anders – und eben umweltfreundlicher – zu gewährleisten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen: wir alle kennen die Probleme seit langem: Die Innenstadt erstickt am Verkehr und seinen Folgen. An den beiden Innenstadt-Messstationen Schiersteiner Straße und Ringkirche werden die Grenzwerte für das Gift Stickstoffdioxid und für den krebserregenden Feinstaub regelmäßig überschritten. Dazu kommen die CO2 Emissionen, die den Klimawandel beschleunigen. Der motorisierte Verkehr verursacht zudem gesundheitsschädlichen Lärm in hohem Maß. Und der öffentliche Raum ist nur noch Verkehrsfläche, nicht mehr Raum zum Leben.

Viele Gründe und höchste Zeit also für die Verkehrswende, weg vom eigenen Auto, hin zu mehr umweltfreundlicher Mobilität für alle.

Die Innenstadtbewohner sind Vorreiter: Der private PKW-Bestand in den Bezirken Westend und Mitte nahm von 1995 bis 2015 um 3.500 Autos ab. Entgegen dem Gesamttrend zu einem höheren Motorisierungsgrad mit immer größeren und leistungsstärkeren PKW (Stichwort SUV). Wir haben sogar die paradoxe Situation, dass die Innenstadtbezirke den geringsten Motorisierungsgrad aufweisen, aber am meisten unter dem Verkehr leiden. Das wollen wir ändern!

Museumsdirektor Alexander Klar und der Filmemacher Andrzej Klamt sind nur zwei bekennende Beispiele dafür, dass man als Innenstadtbewohner dort ohne Auto hervorragend leben kann.

Wir brauchen komfortable, zuverlässige, umweltfreundliche und bezahlbare Alternativen zum eigenen Auto. Hier kommt der Mobilitätsdienstleister ins Spiel, zu dem ESWE sich entwickeln soll.

ESWE Verkehr befördert derzeit mit rund 240 Bussen auf 41 Linien jährlich ca. 53 Millionen Fahrgäste. Als Bestandteil des RMV ist ESWE bereits heute ein wichtiger Baustein einer der größten Verkehrsverbünde in Deutschland. Beste Voraussetzungen also ein Mobilitätsdienstleister mit einem umfassenden Angebot zu werden, und deswegen, wie gesagt Zustimmung zu der Intention dieses Antrags.

ABER liebe CDU, lieber Hans-Martin Kessler,

wer A sagt muss auch B sagen:

es reicht keineswegs aus ESWE zum „modernen Mobilitätsdienstleister“ zu machen und alle anderen Beiträge zu einer zukunftsweisenden integrierten Verkehrspolitik abzulehnen. Ich will das An zwei Beispielen deutlich machen:

Wir brauchen auch und vor allem mehr Platz für den Fuß- und Radverkehr.

Der erste Satz der CDU-Antragsbegründung entlarvt aber schon das Dilemma: „LEIDER geht es viel zu häufig um die Konkurrenz zwischen dem motorisierten Individualverkehr, also den PKW und dem Rest der Verkehrsmittel, also Fußgänger, Fahrradfahrer, Busse, usw.“

Diese Konkurrenz kann man jedoch nicht wegdiskutieren! Sie ist real vorhanden, denn der öffentliche Raum dehnt sich im Gegensatz zum Universum nicht aus. Wenn wir mehr Radwege und Platz für Fußgänger wollen, müssen wir bereit sein, auch in  Parkplätze einzugreifen. Auch für mehr Carsharing brauchen wir Raum, der bislang für das Abstellen privater PKW vorgesehen ist.

So lange aber die CDU alle Maßnahmen blockiert, zu deren Umsetzung öffentlicher Parkraum umgewidmet werden muss, gibt es keine Verkehrswende, und dann gibt es eben keine grundsätzliche Lösung für unsere Stadt!

Genau so wenig lässt sich der Schwerverkehr, die Lastkraftwagen, aus der Innenstadt heraushalten, wenn man sich nicht mit Alternativen für den Lieferverkehr beschäftigt.

Diese Alternative könnte beispielsweise das Anliefern in der Innenstadt mit Lastenrädern sein. Aber was passiert: Sie, meine Damen und Herren von der CDU haben unserem Antrag „City Logistik – umweltfreundlich und flexibel“ im letzten Verkehrsausschuss nicht zugestimmt – einem Antrag, der wahrlich ein vorsichtiger, konsensorientierter Antrag war, weit weg von jedem revolutionärem Gebaren.

Nein, es ging darum, den Lieferverkehr mit Verbrennungsmotoren in der Fußgängerzone zunächst zu ergänzen und langfristig durch ein umweltfreundlicheres System ersetzen, das in einem zweiten Schritt auf die gesamte Innenstadt ausgeweitet werden könnte. Interessierten Transportunternehmen, die eine Auslieferung von Paketen und Waren per Lastenrad anbieten möchten, wollten wir einfach eine Hilfestellung leisten, um in Wiesbaden überhaupt erstmal Fuß zu fassen. Das war aber schon zu viel.

Meine Damen und Herren, so kommen wir nicht weiter!

Auch ein moderner Mobilitätsdienstleister droht zur Alibiveranstaltung zu verkommen, wenn wir Stadtverordnete keine zukunftsweisenden verkehrspolitischen Ziele definieren. Genau darum drückt sich aber die Antragstellerin.

Ziel muss es doch sein, die notwendige Mobilität von Personen und Gütern zu gewährleisten, aber die damit verbundenen Belastungen für Mensch, Umwelt und Finanzhaushalt möglichst gering zu halten. Das nennt man „integrierte Verkehrspolitik“. Dabei geht es darum, die Aufgaben des Verkehrs nicht mehr durch Optimierung von Teilsystemen anzustreben, sondern durch die Entwicklung eines verbesserten Gesamtsystems AUS EINEM GUSS.

Unsere Fraktion Bündnis 90/Die Grünen befürwortet als Selbstverpflichtung ein Gesamtkonzept, das die Verkehrsinfrastrukturen in Zusammenhang mit verkehrspolitischen Zielen stellt: Das betrifft beispielsweise den Modal Split bei Personen- und Güterverkehr, eine Minderung der Schadstoff- und CO2-Emissionen, aber auch sozialpolitische Ziele wie Gewährleistung der Teilnahme sowie ökonomische Ziele wie Finanzierbarkeit und langfristiger Erhalt der Verkehrsinfrastruktur.

Dazu brauchen wir auch endlich den neuen Verkehrsentwicklungsplan 2030 mit entsprechenden Zielen für die Aufteilung des Verkehres auf die Verkehrsträger. Außerdem warten wir immer noch auf die planvolle Umsetzung des Radverkehrskonzepts!

Meine Damen und Herren,

lassen Sie uns heute diesen Antrag als ersten Schritt verstehen, die Verkehrswende in Wiesbaden zu beginnen! Nur so kommen wir mit und für unsere Stadt richtig voran.