4. April 2014

Rede des Stadtverordneten Ronny Maritzen von Bündnis 90/Die Grünen zu TOP I/6 „Altbaumbestände in Wiesbaden“, Antrag der Stadtverordnetenfraktion Bündnis 90/Die Grünen, in der Stadtverordneten­versammlung am 3. April 2014

Es gilt das gesprochene Wort

sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorste­her, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Der Baum, der manche zu Freudentränen rührt, ist für andere nur ein grünes Ding, das im Wege steht.“

Diese Worte des englischen Dichters William Blake bringen die extremen Positionen im jah­relangen Streit um die Lesselallee auf den Punkt: Jeder hat so seine eigene Wahrheit – und seine eigenen Emotionen.

Und, wie bei allen Diskussionen, die die Sache längst verlassen haben, geht es um weiterge­hende Fragen: wie gehen wir, die Politik, mit diesen höchst unterschiedlichen Sichtweisen um?

Sehr geehrter Herr Grünflächendezernent Dr. Franz, Sie haben mich, Sie haben uns, bei ih­rem aktuellen Vorgehen rund um die Lesselal­lee überrascht, ja kalt erwischt – aber nicht enttäuscht! Wir haben es Ihnen zugetraut!

Wer zu seinem Dienstbeginn als Stadtrat von einem Fraktionsvorsitzenden der Regierungs­koalition den sprichwörtlichen eisernen Besen geschenkt bekommt und nicht mit Vehemenz dagegen protestiert, zeigt ein gutes Stück seine Einstellung.

Wollen wir hier in Wiesbaden die Politik mit dem eisernen Besen? Oder wollen wir partner­schaftlich mit den Bürgern unser aller Wiesba­den weiterbauen und zu einem immer stärker liebens- und lebenswerten Raum gestalten? Das ist die Frage hinter der Frage an der Les­selallee. Ich zitiere an dieser Stelle sehr gerne den Oberbürgermeister „Mehr wir – weniger ich!“ Oder auch: „Vom ich zum wir.“

Und was passiert an der Lesselallee?

„Ich will!“

Ich möchte es mit aller Deutlichkeit und Klar­heit sagen: es geht bei weitem nicht nur um die Frage, ob und in welchem Ausmaß die Les­selallee von irgendwelchen Pilzen befallen ist. Es geht uns Grünen um die Frage, was daraus folgt! Wie gehen wir als von den Bürgern ge­wählte Politiker damit um?

Und hier fehlt jeglicher Diskurs!

Generalstabsmäßig hat der Grünflächendezer­nent Fakten geschaffen. Da wurden Gutachten beauftragt und das, was man daraus lesen möchte, beinhart umgesetzt. Ich träume von einer funktionierenden Bür­gerbeteiligung. Mittlerweile wäre ich schon über eine leidliche Parlamentsbeteiligung im Sinne eines demokratischen Prozesses glück­lich.

Zur Erinnerung:

Die Diskussion um die Fällung der zirka 100-jährigen, landschaftsprägenden und kulturhis­torisch bedeutenden Kastanienallee mit ihren derzeit noch 71 Altbäumen wird seit vielen Jahren geführt. Zum Teil hochemotional. Eine Bürgerinitiative setzt sich für den Erhalt ein. Im vergangenen Jahr wurden für ein Bürgerbe­gehren zum Erhalt der Allee immerhin 3.000 Unterschriften gesammelt.

Im Mai 2013 stellte unsere Fraktion im Um­weltausschuss einen Antrag, in dem wir forder­ten, die alten Kastanien zu erhalten und eine neue Allee an anderer Stelle anzulegen. Diesen Antrag, Herr Franz, zogen wir noch in der Sit­zung zurück, weil uns Ihre Amtsvorgängerin in der Sitzung versprach, vor einer endgültigen Entscheidung eine Ortsbegehung durchzufüh­ren. Wir haben darauf vertraut, dass wir, zu­sammen mit den Bürgern in Kostheim und Kas­tel mit der nötigen Ernsthaftigkeit und Sach­lichkeit über die Frage diskutieren und befin­den: wie geht es weiter mit der Lesselallee?

Dieses Versprechen, Herr Dr. Franz, haben Sie gebrochen!

Stattdessen haben Sie uns, die Bürger, die An­wohner, den Ortsbeirat und die Stadtverord­neten, in der vergangenen Woche mit Ihrer Ankündigung, die Allee im Herbst zu fällen, vor vollendete Tatsachen ihrer Meinungsbildung gestellt. Am 26. März haben Sie den Ortsbeirat Kostheim überraschend über ein neues Gut­achten zum Zustand der Lesselallee informiert. Die Ergebnisse der aktuellen Untersuchung belege eine starke Verschlechterung des Zu­stands der Kastanienallee durch den seit lan­gem bekannten Befall durch einen Wurzelpilz sowie ein gestiegenes Verkehrssicherheitsri­siko durch Astbruch. Am 18. März 2014 waren Sie im Umweltausschuss. Nach meiner Zeit­rechnung hatten Sie zu diesem Zeitpunkt das Gutachten in Händen. Was haben Sie dazu ge­sagt? Kein Sterbenswörtchen!

In einem Akt, den ich als „Naturschutz mit Stahl und Eisen“ beschreiben möchte, haben Sie die komplette Allee mit 133 Bauzaunele­menten auf mehreren hundert Metern „si­chern“ lassen. Ein wahrlich beeindruckendes Bauwerk als Zeichen von Macht!!

Als solches wird es auch von den Bürgerinnen und Bürgern wahrgenommen – und sie reagie­ren darauf!

Ein erster Erfolg des Protests der Bürgerinnen und Bürger: der Oberbürgermeister hat ange­kündigt, den Zaun versetzen zu lassen.

Das Geschehen rund um den Zaun ist über­haupt ein bemerkenswerter Vorgang: der Ord­nungsdezernent persönlich nimmt der Lesse­lallee ihre Verkehrsfunktion für Fußgänger, Radfahrer, Jogger, Hunde, Mütter mit Kinder­wägen und schafft einen weitaus größere, vi­rulente Gefahr, als sie per Definition von alten Bäumen ausgeht. Motivation hierfür? Wir werden es sicher gleich hören!

Wir werden gleich hören, dass die Verkehrssi­cherungspflicht es gebietet, die Bürger vor den Bäumen zu schützen. Im Moment sieht es zwar eher so aus, als ob man die Bäume vor den Bürgern schützt, aber das nur am Rande.

Von kranken Bäumen geht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine im Sinne der Verkehrssicherungspflicht relevante Ge­fahr aus. Aber, ich wiederhole diese Frage, was folgt daraus? Folgt daraus, dass als einziger Weg der Pflegeschnitt 3 cm über der Gras­narbe bleibt oder investieren wir Geld in die Erhaltung dieser alten Bäume, solange man sie eben halten kann, um sie erst möglichst spät endgültig zu fällen. Das ist am Ende des Tages auch eine Kostenfrage. Natürlich kann man auch aus Angst vor dem Tod vorauseilend Selbstmord begehen. Ich halte diese Lösung für wenig zielführend. Jedenfalls gehört ein demokratischer Meinungsbildungsprozess an den Anfang solcher Überlegungen .Und diesen demokratischen Akt, sehr geehrter Herr Grünflächendezernent, verweigern, ja verhindern Sie bislang!

Wir Grünen fordern in unserem heutigen Antrag ein zweites Gutachten. Sozusagen eine zweite ärztliche Meinung – vor allem zur weiteren möglichen Behandlung der Patientin Lesselallee. Das ist das mindeste, was man ihr und den Kostheimer Bürgern zugestehen sollte, bevor womöglich im Herbst als abschließende Therapie die Fällung vollstreckt wird.

Wie wir mit dem Patienten Lesselallee, um in diesem Bild zu bleiben, umgehen ist in erster Linie eine politische Frage. Die Gutachter erarbeiten Vorschläge auf einer wissenschaftlichen Basis, die wir nach unseren Überzeugungen umzusetzen haben (oder auch nicht). Ob sich die Natur an die Meinung der Gutachter hält, ist immer wieder fraglich.

Klar ist für uns Grüne dass wir in Wiesbaden zu demokratischen Prozessen – in diesem Fall und generell – zurückkehren müssen!

Oder wird Heinrich Heine wieder aktuell?

(aus „Der Erinnerung aus Krähwinkels Schre­ckenstagen“, letzte Zeilen):

Vertrauet Eurem Magistrat,

Der fromm und liebend schützt den Staat

Durch huldreich hochwohlweises Walten;

Euch ziemt es, stets das Maul zu halten.