14. Februar 2015

Rede von Gabriela Schuchalter-Eicke zu One Billion Rising am 14.2.2015

Sehr geehrte Wiesbadenerinnen und Wiesbadener sowie alle, die sich heute hier eingefunden haben,

insbesondere aber

liebe Frauen und Mädchen, die Ihr hier heute tanzend ein weltweites Zeichen gegen Gewalt an Frauen setzen wollt, heute am Valentinstag, am 14. Februar 2015!

Gewalt hat viele Ausprägungen und sie findet überall auf der Welt statt auch in Deutschland, in Hessen und bei uns vor der Tür hier in Wiesbaden.

Im Januar 2015 wurde eine 19-jährige Deutsche mit pakistanischen Wurzeln von ihrem Vater in Darmstadt getötet, voriges Jahr war es eine junge Frau aus Afghanistan in Frankfurt und ein 16-jähriges Mädchen in Bad Homburg sowie Tuce, die in Offenbach starb und hier in Wiesbaden kennen wir u.a. die Fälle aus Dotzheim und der Wellritzstr.
Bei in der Frauenbewegung engagierten Frauen ist der Valentinstag schon länger als V-Day – und hier kopiere ich gerne mal Herrn Ackermann – als Tag des „Victory over Violence“ bekannt und Ihnen vielleicht ist dieser Tag sogar noch bekannter unter dem Titel „One Billion Rising“. Heute also werden wir alle hier gemeinsam tanzen und ein Zeichen setzen
Wer sich speziell zu diesem jährlich wiederkehrenden Ereignis noch näher informieren möchte – gerne! Wir haben für Sie diesen Flyer und auch eine kurze Zusammenfassung der Choreographie mitgebracht, die Sie jetzt von uns kostenlos erhalten können.

Trotz wirkungsvoller Aktionen der Frauenbewegung im letzten Jahrhundert bis heute, ist sie immer noch ein Thema: Die Gewalt von Männern an Frauen. Aber gerade auch „One Billion Rising“ trägt in jüngster Zeit dazu bei, dass die Problematik von Gewalt gegen Frauen weltweit verstärkt wahrgenommen wird. Und dabei spielt nicht die Gewalt vom bösen fremden Mann die wichtigste Rolle, sondern die Gewalt in den eigenen vier Wänden durch den eigenen Partner. Die Gewalt im eigenen Schutzraum, die nicht nach außen dringt, weil niemand die betroffenen Frauen weinen und schreien hört. Außer den eigenen Kindern – und dem Täter selbst.

Viele Frauen schämen sich, dass sie von Gewalt betroffen sind. Die Vorurteile sitzen tief in den Opfern selbst. „Du Opfer“ ist ein Schimpfwort, mit dem keine Frau identifiziert werden will. Schlagende Männer, das ist doch asozial, damit will frau nichts zu tun haben.

In meinen weiteren Ausführungen verwende ich u.a. Recherchen und Aussagen von Terre des Femmes:

Gewalt gegen Frauen symbolisiert auf schmerzhafte Art und Weise die immer noch deutlich existierende Machtdifferenz zwischen Männern und Frauen. Gewalt hat mehrere Dimensionen. Eine Vergewaltigung als Ausdruck von Macht ist eine der schlimmsten Formen von Gewalt, die ein Mann an einer Frau ausüben kann. Im Gegensatz zu häuslicher Gewalt, bei der in Ausnahmefällen auch Männer die Opfer sein können, wird sexuelle Gewalt fast ausschließlich von Männern an Frauen ausgeübt.

Häusliche Gewalt hat mehrere Ausprägungen und häusliche Gewalt kommt häufiger vor, als man denkt und sie findet in allen Schichten und in allen Altersgruppen statt. Jede vierte Frau erlebt im Laufe ihres Lebens Gewalt durch den eigenen Partner.

Sie wird ausgeübt in physischer, sexueller und psychischer Form. Sie reicht von Drohungen, Einschüchterungen und Demütigungen über Schläge, Tritte und Vergewaltigungen bis hin zu Mord. Auch soziale Isolierung und ökonomische Gewalt sind Merkmale der Misshandlung. Häusliche Gewalt bedeutet, Macht und Kontrolle über die Partnerin oder den Partner auszuüben.

Wenn Frauen in Ihrer Partnerschaft, Ehe oder Familie z. B. misshandelt, geschlagen, verletzt werden (das ist Körperverletzung), haben sie das Recht, sich dagegen zu wehren; wenn sie bedroht, eingesperrt, gefangen gehalten werden (das ist Freiheitsberaubung), haben sie das Recht, sich dagegen zu wehren;

wenn sie vergewaltigt, zu sexuellen Handlungen gezwungen werden (das sind strafbare Handlungen gegen das sexuelle Selbstbestimmungsrecht), haben sie das Recht, sich dagegen zu wehren; wenn sie belästigt und verfolgt werden (das ist Stalking), haben sie das Recht, sich dagegen zu wehren oder wenn Ihre Kinder misshandelt oder sexuell missbraucht werden, haben sie das Recht, sich dagegen zu wehren. Ihr Mann/ihr Partner begeht mit den körperlichen und sexuellen Gewalttaten sowie dem Stalking strafbare Handlungen, die strafrechtlicher Verfolgung unterliegen.

Demnach leben Frauen im eigenen Heim am gefährlichsten. Weltweit ist das so, auch in Deutschland. Häusliche Gewalt ist die häufigste Ursache von Verletzungen bei Frauen: häufiger als Verkehrsunfälle und Krebs zusammen genommen.

Für Frauen ist das Risiko, durch einen Beziehungspartner Gewalt zu erfahren, weitaus höher als von einem Fremden tätlich angegriffen zu werden. Tatsächlich ist die weit verbreitete Vorstellung eines unbekannten Täters, der einer Frau nachts in einer dunklen Ecke auflauert, trügerisch. Dies ist lediglich bei 14,5 Prozent der bekannten Vergewaltigungen der Fall. In den anderen Fällen stammt der Täter aus dem Bekanntenkreis oder ist der aktuelle oder ehemalige Partner.

Mehrere tausend schutzsuchende Frauen werden jedes Jahr bundesweit von den Frauenhäusern verwiesen! In den oft überfüllten Einrichtungen ist kein Platz für sie. Dies belegt die Bundesregierung im am 15.08.2012 vorgestellten „Bericht zur Situation der Frauenhäuser, Fachberatungs-stellen und anderer Unterstützungsangebote für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder“. Jährlich suchen etwa 15.000 Frauen und 17.000 Kinder Schutz vor Gewalt durch Männer in einem der rund 350 Frauenhäuser in Deutschland.Die Kinder sind dabei mehr als nur Zeugen der Gewalt: Studien zeigen eine Korrelation zwischen Häuslicher Gewalt gegen Frauen und einer Misshandlung der Kinder durch die Täter. Besonders betroffen von dem unzulänglichen Schutz sind Frauen mit Behinderungen, psychisch kranke oder suchtkranke Frauen.

In unserer Gesellschaft herrscht leider kein Konsens darüber, dass das Schlagen, Vergewaltigen, Kaufen und Erniedrigen von Frauen ein extrem menschenverachtendes Verhalten ist.

Nein, im Gegenteil! Bei einigen deutschen Großkonzernen gehört zum Bonussystem auch das Bereitstellen von Frauen, die so zur verfügbaren Ware degradiert werden. Ich erinnere nur an die Brasilien-Reisen bei VW und die „Sauna-Besuche“ der Ergo-Versicherungsgruppe.

Auch gerade aktuell gibt es wieder einmal weitere Auswüchse, die Gewalt an Frauen verherrlichen, so die Seminare der US-Firma „Real Social Dynamics“. Eine der zahlreichen Pick-Up-Artist-Konglomerate aus Amerika, die Männern erklären, wie sie Frauen fließbandmäßig aufreißen und flachlegen. Auch dann, wenn die Frauen sich dagegen wehren!

Damit rühmte sich jüngst ein gewisser Julien Blanc, RSD-Mitarbeiter, auf YouTube. In dem Video, das mittlerweile nicht mehr aufrufbar ist, erklärte der junge Mann stolz, dass er eine Frau zum Sex gezwungen habe.

Die Öffentlichkeit, die Medien und die Gesellschaft senden an gewalttätige Männer, an potenzielle und tatsächliche Täter ein falsches Signal. Ihnen wird nicht gezeigt, dass eine Vergewaltigung eine Straftat ist. Ihr Verhalten wird verharmlost. Eine Verurteilung der Täter bei Gericht ist nicht sicher.

Es wirken patriarchale Strukturen und Traditionen über alle Kulturen und Religionen hinweg einheitlich zum Schaden der Frauen. Darin enthalten sind Männer- und Frauenbilder, die Männlichkeit als Macht, Stärke, Dominanz definieren und Weiblichkeit mit Duldsamkeit, Passivität, Unterlegenheit verbinden.

Den Frauen wird suggeriert, letztendlich sogar selbst schuld zu sein. Durch ihr Verhalten, ihre Kleidung hätten sie die Männer provoziert und „es“ im Grunde selbst so gewollt.

Nachdem dann auch noch im Januar 2011 ein Polizeibeamter in Toronto, Kanada, in einem Vortrag über öffentliche Sicherheit an der Osgoode Hall Law School erklärte,
dass Frauen selbst Schuld sind, wenn sie sexuell belästigt werden, da sie sich entsprechend anziehen und verhalten, löste dies weltweite Empörung aus mündend in den sogenannten Slutwalks (den Schlampen-Märschen), die in Nordamerika begannen, 2011 mit 3500 teilnehmenden Frauen in Berlin auch Deutschland erfassten und wieder am 15.9.2012 ebenfalls in Berlin stattfanden. Ziel der Slutwalks ist es, diese frauenfeindliche und diskriminierende Argumentation zurückzuweisen.

Auch in Deutschland sind Einstellungen wie die des kanadischen Polizisten keine Seltenheit, sondern kennzeichnend für einen symptomatischen Umgang und eine Verharmlosung sexualisierter Gewalt.

Zudem wird Frauen vermittelt, es gäbe tatsächlich ein bestimmtes Verhalten und eine Kleidung, die vor sexuellen Übergriffen schützt.
Dabei ist der Mythos, dass in der Mehrzahl aufreizend angezogene Frauen vergewaltigt werden, falsch und irreführend.

Beispielsweise gilt ein kurzer Rock, ein tiefer Ausschnitt in bestimmten Kreisen immer noch als aufreizend und „willig“. Den Frauen wird damit ein bestimmter Lebenswandel unterstellt und je nach Land, Kultur und Religion ein als passend definierter Kleidungsstil vorgegeben bis zur vollständigen Verhüllung ihrer Person in der Ganzkörper-Burka.

Männer sind keine triebgesteuerten „Opfer“ ihrer Sexualität und Frauen keine Verführerinnen, die ihre Reize zu kontrollieren haben.

Egal, ob es sich um die Verinnerlichung von Verboten während des Sozialisierungsprozesses im Christentum oder um äußerliche Verhaltensregeln zur Vermeidung von „fitna“ (arab.: „Anfechtung“, aber auch „schöne Frau“) im Rahmen der Geschlechtertrennung im Islam handelt, beide gesellschaftliche Formen zur Beherrschung der weiblichen Sexualität sind nicht mit den Grundsätzen von einem Frauenleben in Freiheit und Selbstbestimmung in Einklang zu bringen.

Ein „Nein“ bedeutet immer und überall auf der Welt „Nein“ und ist nicht die Aufforderung, übergriffig zu werden.

Die Männer hingegen haben eine „Sex-Affäre“, sich selbst und ihre Lust „nicht recht im Griff“, „stolpern über ihre Hormone“ oder sie sind „kein Kind von Traurigkeit“. So einige Zitate aus den Medien zu den Fällen Kachelmann und Strauss-Kahn im Jahr 2011.

Auf der individuellen Ebene spielen Konfliktlösungsmuster und individuelle Erfahrungen eine ursächliche Rolle. Denn Gewalt wird gelernt. Wer in der eigenen Kindheit nur gewalttätiges Verhalten und Dominanz des Stärkeren erlebt hat, wird auch als Erwachsener sehr wahrscheinlich dieses Verhalten zeigen. Gewalttätiges Verhalten ist oft auch Ausdruck von Fehlentwicklungen und Traumatisierung in der Lebensgeschichte der Täter.

Dennoch: Die Verantwortung für die Gewalt kann nicht auf gesellschaftliche Gegebenheiten oder die individuelle Biographie abgewälzt werden.

Sie liegt immer auch beim Aggressor, denn zuzuschlagen oder nicht, ist – bei einem psychisch gesunden Menschen – immer eine freie Entscheidung. – JEDES MAL!!!

Polizeieinsätze und Gerichtsverfahren, aber auch Arbeitsausfälle, ärztliche Behandlungen und psychologische Betreuungen, die durch Männergewalt gegen Frauen und Mädchen notwendig werden, sowie die verminderte Lebensqualität von Betroffenen kosten Staat und Wirtschaft jährlich mehrere Milliarden Euro.

Angelsächsische Studien konnten zeigen, dass eine Finanzierung von Gegenmaßnahmen der öffentlichen Hand letztlich sogar Gewinn einbringt. In Deutschland – gibt es hierfür fast keine Studien.

Dazu drei elementar wichtige Forderungen:

  1. Kontraproduktive Gesetze und Verordnungen müssen reformiert werdenz.B. die getrennte Behandlung von familien- u. zivilrechtlichen Aspekten im Trennungsfall, Ausweitung des Gewaltschutzgesetzes auch auf Kinder
  1. Die Aus- und Fortbildung von mit Häuslicher Gewalt befassten Berufsgruppen muss verpflichtend seinPolizistInnen brauchen mehr Training für diese speziellen Einsätze, ÄrztInnen, Pflegepersonal, ErzieherInnen usw. müssen intensiver geschult werden, wie Symptome häuslicher Gewalt zu erkennen sind. Und: Die Fortbildung von RichterInnen muss verpflichtend werden, bisher gibt es das nicht.
  1. Migrantinnen, die Opfer von Häuslicher Gewalt sind, müssen einfacher ein von der Ehedauer unabhängiges Aufenthaltsrecht bekommen.
    Ein eigener Aufenthaltsstatus ist bisher erst nach drei Jahren möglich, diese Frist ist viel zu lang.

Gewalt gegen Frauen ist ein vielschichtiges Thema. Je „normaler“ die Gewalt erscheint, desto geringer ist die Hemmschwelle sie anzuwenden. Deshalb müssen wir uns auf allen Ebenen gegen Gewalt wehren. Sie nicht aus Scham unter den Tisch kehren – sondern darüber reden und ganz klar sagen: Nicht das Opfer muss sich schämen, sondern der Täter!

Für uns alle gilt: Hinsehen, nicht wegsehen! Lasst und tanzen! Break the Chain!