13. Dezember 2018

Rede von Gabriela Schuchalter-Eicke zu „Situation der Landwirtschaft in Wiesbaden“ in der Stadtverordnetenversammlung am 13. Dezember 2018

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Frau Stadtverordnetenvorsteherin, meine Damen und Herren,

sind wir doch mal ehrlich: immer häufiger werden wir in den unterschiedlichsten Bereichen mit der Einsicht konfrontiert, dass ein „weiter so“ uns nicht nur nicht weiterbringt, sondern uns eher schneller in die Katastrophe führt, als wir es uns je in unseren kühnsten Phantasien ausmalen konnten. Umso wichtiger wird es, faktenbasiert nach Lösungen zu suchen und Entscheidungen zu treffen, die zielführend sind bei der Gestaltung einer lebenswerten nachhaltigen Zukunft.

Daher ist es außerordentlich begrüßenswert, dass mit dem vorliegenden Antrag die Situation der Wiesbadener Landwirtschaft untersucht werden soll, um eine entscheidungsrelevante Datenlage verfügbar zu haben. Diese Fakten sollen anschließend Basis für einen Leitbildprozess sein. Genau da liegt die große Chance, wo es Sinn macht, auch einmal neu zu denken. Es geht darum, die Landwirtschaft hier in Wiesbaden einerseits zu erhalten und sie andererseits aber dort zukunftsfähig zu machen, wo Veränderung geboten ist.

58 Mill. Euro fließen jährlich an Subventionen für die gemeinsame Europäische Agrarpolitik –, allein auf Deutschland entfallen davon 6,3 Mill. Euro. Damit könnten viele der nachfolgend geschilderten Maßnahmen gefördert und umgesetzt werden, wenn nicht der größte Teil dieser Steuergelder einfach als Flächenprämie ohne ambitionierte Auflagen verteilt würde. So werden in erster Linie die Großbetriebe gefördert. Würde dieses Geld dagegen vor allem nach dem Grundsatz „öffentliches Geld für öffentliche Leistungen“ verteilt, könnten damit bäuerliche Betriebe unterstützt werden, die sich um besseren Tierschutz, um Biodiversität und um Klimaschutz bemühen.

Ich will Sie gar nicht mit der Aufzählung der wohlfeilen, unzähligen Skandale und Horrorszenarien aus diesem Wirtschaftsbereich konfrontieren, aber es leuchtet sicher ein, dass großflächige Monokulturen anfälliger für Schädlinge sind, dass Massentierhaltung in keiner Weise artgerecht ist, dass Pestizide und Herbizide über den Boden in das Grundwasser gelangen, dass Erdbeeren im Dezember aus Südafrika einzufliegen nicht klimaneutral passiert und last but not least dass Wurstwaren aus Separatorenfleisch nicht mit einer Silbermedaille prämiert werden und Eier ohne Fipronil zu enthalten verkauft werden sollten. Auch einsame Ministerentscheidungen bezüglich Glyphosat sind verzichtbar.

Doch wie ist unsere Situation vor Ort? Wie ist die Landwirtschaft in Wiesbaden aufgestellt und wie sehen wir sie zukünftig? Darüber wissen wir zu wenig und das wollen wir ändern.

In diesem Zusammenhang interessieren uns Grüne zum Beispiel die Flächenanteile von Wäldern, Äckern, Wiesen, Weiden und Brachen.

Wir möchten wissen, welche Bio-Betriebe es bereits gibt, und nach welchen Öko-Siegeln sie zertifiziert sind.

In welchen Betrieben werden noch Tiere gehalten und über welche Größenordnungen und Tierarten reden wir hier? Welche Betriebe kümmern sich um den Erhalt seltener Kulturpflanzen und Nutztierrassen? Wo werden noch sogenannte „alte Sorten“ angebaut und vermarktet?

Wo gibt es Hofläden und welche Betriebe aus der Region beschicken die Wiesbadener Märkte?

Welche Innovationen wären denkbar, welche neuen Wege könnten landwirtschaftliche Betriebe gehen? Der Hof Erbenheim beispielsweise betreibt nicht nur einen Hofladen, verarbeitet das Obst von Privatleuten zu Saft und leistet damit einen Beitrag zur Nutzung von Streuobstwiesen. Er bietet auch „Agrotainment“ beispielsweise in Form von Feldrundfahrten an und bringt Kindergruppen die Landwirtschaft nahe.

Die regionale Vermarktung der landwirtschaftlichen Produkte muss gefördert und die Abhängigkeit vom Weltmarkt verringert werden. Hierbei können Kooperationen, ein gemeinsamer Internetauftritt und die Einführung eines gemeinsamen regionalen Herkunftssiegels helfen. Die Produkte müssen klima- und umweltfreundlich von den Erzeugerbetrieben direkt zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern kommen. Wie kann hier die Logistik optimiert werden? Ist im Netz das Angebot einer regionalen Gemüsekiste denkbar? Wo und in welchem Umfang können Lastenräder bei der Auslieferung zum Einsatz kommen? Sind Flächen für „geparkte“ Weihnachtsbäume denkbar, die – wie in den Niederlanden – für die Feiertage nur „ausgeliehen“ werden?

Die Belieferung von Wiesbadener Kindertagesstätten, Schulen und Betrieben mit Produkten aus Wiesbadener oder regionaler Landwirtschaft ist auszubauen sowie die direkte Kooperation mit der ortsansässigen Gastronomie. Wie können vorhandene Potenziale gehoben werden?

Der Erhalt der vielfältigen Kulturlandschaft als Lebensraum für die mittlerweile dramatisch bedrohten Tier- und Pflanzenarten ist uns wichtig. Mit den Landwirten als zentralen „Playern“ gemeinsam müssen Maßnahmen und Strategien zum Biodiversitätsschutz in der Agrarlandschaft entwickelt werden. Leuchtturmprojekte wie das Gebietslebensraumkonzept der Hegegemeinschaft Ost, die in Kooperation mit Imkern, Landwirten und der Stadtverwaltung in großem Stil Blühstreifen in der Agrarlandschaft anlegt, müssen verstetigt und ausgeweitet werden.

Nach dem Bericht zur Flächenentwicklung in Wiesbaden aus 2012 ist die Landwirtschaftsfläche zwischen 1997 und 2009 um 4,6 Prozent zurückgegangen.

Wir sollten unsere landwirtschaftlichen Betriebe bei der ökologisch nachhaltigen Erzeugung und Vermarktung gesunder Lebensmittel für die Region unterstützen, auch um ihre dauerhafte wirtschaftliche Existenz und damit die Hofnachfolge zu sichern. Dafür setzen wir GRÜNE uns ein.