28. Juni 2019

Rede von Konny Küpper „Wiesbaden erklärt den Klimanotstand“ in der Stadtverordnetenversammlung am 27.06.19

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Sehr geehrte Frau Stadtverordnetenvorsteherin,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

liebe Bürgerinnen und Bürger,

 

es hat sich etwas verändert: Die Wahrheit über die Klimakrise und ihre Folgen ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Was früher undenkbar war: Keiner zweifelt mehr ernsthaft daran, dass wir so, wie wir heute leben und wirtschaften, nicht weitermachen können. Übrigens meint das auch die CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer in der aktuellen Ausgabe der ZEIT.

Wir haben nur noch 10 Jahre, um den Ausstoß klimaschädlicher Gase drastisch zu reduzieren und komplett auf Erneuerbare Energien umzusteigen

Seit einem Vierteljahrhundert warnen uns die Wissenschaftler vor den dramatischen Folgen für die Welt; die ersten Vorboten sind auch in Wiesbaden deutlich zu erkennen. Die Trockenheit und Hitze macht nicht nur den Kleinen, Alten und Schwachen zu schaffen, sondern tötet auch unseren wichtigsten Verbündeten: unseren Wald. Die Fichten können sich nicht mehr gegen den Borkenkäfer wehren; der Ahorn fällt einem Pilz zum Opfer. Der Wassermangel im Boden bringt Landwirte in existentielle Nöte. Trinkwasser wird knapp. Straßenschäden nehmen zu. Und vieles mehr …

Und das sind erst die Folgen der Emissionen, die wir schon vor 30 Jahren verursacht haben. Seit dem ist zu wenig geschehen, um den Trend aufzuhalten.

Im Klimaabkommen von Paris hat sich Deutschland nun verpflichtet, den Anstieg der Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad zu begrenzen. 1,5 Grad ist die rote Linie, die wir unter keinen Umständen überschreiten dürfen, um uns selbst und unsere nachfolgenden Generationen vor den Folgen der absehbaren Klimakatastrophe zu retten.

Diese Wahrheit haben besonders die jungen Menschen erkannt und ihre Zukunftsangst aber auch ihren Frust über die Untätigkeit und Ignoranz der Älteren auf die Straße gebracht. Dafür gebührt Fridays for Future unser besonderer Dank!

Die EU-Wahlen und Umfragen haben auch gezeigt: die Mehrheit will eine wirksame Klimaschutzpolitik und keine Worthülsen mehr.

Sie wollen, dass wir alle, und besonders die Politik, endlich handeln. Wir sollten daher aufhören, abzuwiegeln, Ausreden zu finden, Notwendiges zu verschieben oder Klimaschutz gegen Wohlstand auszuspielen. Sonst verlieren am Ende wir alle.

Und als sichtbares Zeichen dafür, dass wir verstanden haben, möchten wir Grünen hier durch unserem gemeinsamen Antrag mit SPD und LinkenPiraten für Wiesbaden den Klimanotstand erklären und unser Handeln unter Klimaschutzvorbehalt stellen. Denn die Kommunen stehen am Anfang und am Ende der Wirkungskette: Wir sind einerseits Mitverursacher der Klimaerhitzung und wir müssen andererseits die Folgen tragen.

Wer einen Notstand ausruft, ist sich einer Gefahr bewusst und bündelt seine Kräfte, um möglichst schnell zu handeln Schaden abzuwenden und Leben zu retten. Nichts anderes soll der Klimanotstand bewirken. Etwas Ähnliches gab es kürzlich beim Verkehr: Uns war doch seit langem klar, wie schlecht die Luft ist und dass wir etwas ändern müssen. Doch erst seit dem drohenden Dieselfahrverbot packen wir die Verkehrswende konsequent an.

Nun werden einige sagen, dass wir ja schon etwas tun. Wir haben Klimaschutzziele, ein Klimaschutzkonzept, eine Klimaschutzmanagerin, eine Klimaschutzagentur und ein Energiemanagement, einen Beirat und Klimabilanzen. Ja, stimmt. Und eine ganze Reihe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern arbeiten in der Verwaltung seit Jahren unverdrossen und gegen alle Widerstände an der Umsetzung.

Und dennoch verfehlen wir unsere eigenen Ziele und erst recht die, mit denen wir die 1,5 Grad Schmerzgrenze einhalten könnten. Das bestreitet hier niemand, die jüngste Klimabilanz zeigt es deutlich.

Also scheinen wir zwar Ziele und Instrumente zu haben, aber wir setzen sie noch nicht richtig ein und vor allem: wir sind nicht konsequent.

Ein Beispiel: Nur 2/3 der städtischen Ämter und nur jede fünfte städtische Gesellschaften haben überhaupt an der Befragung zur Umweltbilanz in Wiesbaden teilgenommen. Fehlt es am Bewusstsein, wie wichtig das Thema ist? Fühlte man sich nicht zuständig? Oder wollte man einfach nicht?

Wir haben also ein Umsetzungs- oder Handlungsdefizit. Klimaschutz ist keine Angelegenheit einer einzelnen Abteilung im Umweltamt! In der gesamten Politik, in der Verwaltung und im Gesamtkonzern Stadt muss klimafreundliches Handeln zum Leitmotiv werden.

Bei jedem Projekt, bei jedem Auftrag, bei jedem Prozess lauten die Kernfragen: Welche Folgen hat das für das Klima? Reduzieren wir CO2? Gibt es bessere Alternativen? Darüber entscheiden am Ende die Gremien. Das heißt aber dann auch: Entscheiden wir uns für eine klimaschädlichere Lösung sind die Folgen an anderer Stelle auszugleichen.

Alles gehört – bildlich gesprochen – auf die Klimawaage und die Maßeinheit heißt CO2- Äquivalente, damit sind alle klimaschädlichen Gase eingeschlossen. Wiesbaden hatte 2017 knapp 3 Millionen Tonnen CO2-Emissionen zu verantworten. Um unseren Beitrag zum 1,5 Grad Ziel zu leisten, müssen wir bis 2030 etwa 1,5 Millionen Tonnen einsparen – wohlgemerkt hier in Wiesbaden. Anteilig gilt das dann auch für die einzelnen Sektoren wie Wirtschaft, Verkehr, Bauen, IT, Entsorgung und die privaten Haushalte.

Für die Klimawaage gibt es entsprechende Bilanzierungsmethoden und Programme. Am Ende steht die entscheidende Zahl: Tonnen von CO2 mehr oder weniger. Und dann wird die Herausforderung greifbar, vor der wir stehen.

Bauvorhaben Platter Straße: 135 Tonnen mehr.

Elektrifizierung des Verkehrs laut Luftreinhalteplan: 115.000 Tonnen weniger pro Jahr. Restmüllverbrennung Gurdulic gegenüber bisher: 30.000 Tonnen mehr pro Jahr.

City-Bahn statt Autos: 4.500 Tonnen weniger pro Jahr.

Es passiert etwas im Kopf, wenn wir das mit den 1,5 Millionen Tonnen abgleichen, die wir in den nächsten 10 Jahren einsparen müssen.

Zusammengefasst:

Mit der Art und Weise, wie wir in den letzten Jahren gelebt und gewirtschaftet haben, tragen wir die Verantwortung für die Klimakrise. Es ist unsere Pflicht, das Problem zu lösen und wir können es noch schaffen, wenn wir jetzt konsequent umsteuern.

Der Klimanotstand und der Klimaschutzvorbehalt werden uns dabei helfen.

Und ich bin mir sicher, dass auch die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger dazu bereit ist und uns unterstützen wird.

An alle, die jetzt noch zweifeln, ob sie dem Antrag zustimmen werden: Tun Sie es! Wenigstens für ihre Kinder.

 

Vielen Dank!

Konstanze Küpper

Wiesbaden, 27.06.2019